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Forsmark-Skandal verschlägt sogar Schwedens Atomindustrie die Sprache
dpa-Meldung, 12.02.2007

Sogar der Spitze beim schwedischen Vattenfall-Konzern hat die endlose und auch für Fachleute beängstigende Pannenserie im Atomkraftwerk Forsmark die Sprache verschlagen. "Ich hatte so etwas nicht für möglich gehalten. Als mir klar wurde, was da passiert ist, wurde ich erst einmal völlig still", kommentierte Aufsichtsratschef Dag Klackenberg am Wochenende im TV-Sender SVT, was der auch in Deutschland aktive Konzern gerade selbst als neuen Sicherheits-Skandal enthüllt hatte.

Sieben Monate war der 26 Jahre alte Reaktor 1 mit einer defekten Gummidichtung gelaufen, weil Proben verschlampt wurden, statt ins Labor geschickt worden waren. Als dann doch das Ergebnis kam, nahm der Betreiber den Siedewasserreaktor sofort vom Netz, weil die Dichtung bei Störungen auch zur Reaktorabkühlung beitragen soll. "So etwas ist nicht hinnehmbar", meinte Vattenfalls Konzernchef Lars Josefsson und verkündete bei der eigenen Bilanzpressekonferenz neben neuen Rekordgewinnen die Auswechslung der Werksspitze in Forsmark.

Voraufgegangen waren immer neue Skandalmeldungen aus dem 190 Kilometer nördlich von Stockholm gelegenen Kraftwerk mit drei Reaktoren. Josefsson selbst nennt den Störfall vom 25. Juli 2006 "sehr ernst". Nach einem Stromausfall sprangen damals Notaggregate zur Reaktorkühlung nicht an und im Kontrollraum fielen die Überwachungscomputer aus. Zwei der drei Techniker aus dem Kontrollraum berichteten anonym im Fernsehen von "einer ausgesprochen dramatischen Lage" bei dem Störfall.

Was folgte, trug nicht zur Beruhigung bei: Es gab Kritik von Mitarbeitern aus Forsmark an einem "Verfall der Sicherheitskultur" und an "immer höherer Risikobereitschaft" wegen wirtschaftlicher Zwänge, es gab Berichte über alkoholisierte Mitarbeiter und hohe Unfallhäufigkeit, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Verzögerung des Reaktorstopps am 25. Juli ein. "Wenn alles funktioniert hätte, hätte ich gewusst, was zu tun war. Aber wir hatten keinen Strom, und die Computer liefen nicht. Es ist ja gut gegangen", berichtete ein Techniker anonym von den kritischen Minuten im Kontrollraum.

"Klar macht mir so etwas auch Angst", sagte Björn Karlsson, Chef des schwedischen Kontrollrates für Reaktorsicherheit. Umweltminister Andreas Carlgren ist grundsätzlicher ins Grübeln gekommen: "Wenn sich die Zustände in Forsmark ständig als schlechter erweisen, als vom Betreiber selbst behauptet, muss man sich fragen, wie es in den anderen Atomkraftwerken aussieht." In der Zeitung "Svenska Dagbladet" meinte er am Sonntag weiter: "Die Bilder aus dem Kontrollraum von Forsmark haben mich daran erinnert, dass die Atomkraft eine gefährliche Technik ist, wenn sie nicht funktioniert oder der menschliche Faktor versagt. Wir müssen uns überlegen, wie abhängig wir davon sein wollen."

Der Skandal trifft Vattenfall in einer Periode, in der der Konzern wie die Atomindustrie in ganz Europa auf einen erneuten Ausbau der Kernkraft setzt. Pläne für Kapazitätserweiterungen von Forsmark selbst wurden im Gefolge des Störfalls schon diskret zu den Akten gelegt. Die deutsche Tochter des schwedischen Konzerns kündigte Ende der Woche einen Antrag auf längere Laufzeiten für das Atomkraftwerk Brunsbüttel in Schleswig-Holstein an, das eigentlich 2009 stillgelegt werden soll. Es ist vier Jahre älter als der Pannenreaktor nördlich von Stockholm.