Strahlende Aussichten?
Quelle: Die Furche Nr.33/17.August 2006, Author: Klaus Faissner

Schweden ist vielleicht nur knapp einer Reaktorkatastrophe entgangen, in Temelin reiht sich eine Panne an die andere

Schweden ist vielleicht nur knapp einer Reaktorkatastrophe entgangen, in Temelin reiht sich eine Panne an die andere. Und immer wieder ist von einer Renaissance der Atomenergie die Rede. Dabei zeigen die Pannen wie jüngst in Schweden die Gefahren, die auch 20 Jahre nach Tschernobyl noch bestehen.

Es war reiner Zufall, dass es nicht zur Kernschmelze kam, erklärte Lars-Olof Höglund gegenüber der schedischen Zeitung "Nya Tidning". Höglund war jahrelang Konstruktionsleiter des schwedischen Vattenfall-Konzerns, zu dem das betroffene AKW Forsmark gehört. Durch einen Kurzschluss war es zu einem Ausfall der Stromversorgung im Kraftwerk gekommen. Danach sprangen zwei der vier Notstrom-Dieselaggregate für die Nachkühlung der Brennstäbe nicht an. Überwachungsmonitore fielen aus. Erst nach mehr als 20 Minuten war die Situation wieder unter Kontrolle.

"Der Vorfall wurde in unseren Medien überbewertet", meint Helmut Böck, Reaktorbetriebsleiter des Atominstitutes der Uni Wien. Die Aussage Höglunds könnten einem "Bosheitsakt" entsprungen sein, schließlich sollte Höglund nach der Trennung mehrere Prozesse gegen seinen Ex-Arbeitgeber geführt haben. Die Gefahr einer Kernschmelze sei nie gegeben gewesen, "weil die Anlage mit zwei Dieselgeneratoren beliebig lange hätte weitergefahren werden können". Generell seien AKW-Katastrophen "im höchsten Maße unwahrschweinlich".

Der Ökologe und Strahlenschutz-Experte Peter Weihs widerspricht: Eine solche Anlage ist hochkompliziert und niemand versteht eine Anlage ganz. Technische und menschliche Fehler können überall zu schweren Unfällen führen. Es handelt sich um ein Katastrophenpotential, das nie freigesetzt werden dürfte. Niemand kann für die möglichen Folgen geradestehen." Der liberale Strommarkt bringe es mit sich, dass die AKW für Wartungszeiten kürzer abgeschalten werden als früher: "Dann wird zwar von einer in Rekordzeit durchgeführten Revision gesprochen, doch werden Mängel leichter übersehen."

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Die unendliche Geschichte der Renaissance der Atomenergie
Quelle: Klaus Faissner; Die Furche (Nr.33)

Abseits der Diskussion über die Sicherheit von AKW ist seit Jahren von einer "Renaissance der Atomindustrie" die Rede.
In Finnland wird nicht nur ein neues Atomkraftwerk, sondern auch Atommüllendlager gebaut, in Frankreich ist die Entscheidung über ein neues Atomkraftwerk gefallen und Japan und China setzen voll auf Kernenergie. Atomkraft sei "umweltfreundlich und wettbewerbsfähig", meint der "Informationskreis KernEnergie", eine deutsche Plattform von Pro-Atom -Vereinigungen.

Atomkraftwerk

Ein Verzicht habe "unabwendbar höhere CO2-Emissionen und wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge". Diese Aussage läßt dem deutsch-französischen Alternativ-Nobelpreisträger und internationalen Energieberater Mycle Schneider ein Schmunzeln über die Lippen huschen. Er ist der Verfasser mehrer Reports zum Thema Atomenergie. Die gebetsmühlenartige Wiederholung einer "Renaissance" sei gerade dabei, sich "zu einer der größten Weißen-Elefanten-Geschichten der letzten Jahrzehnte auszuwachsen", meint Schneider.
Seit 1989 sei die Zahl der laufenden AKW in den heutigen EU-25-Ländern von 172 auf 147 zurückgegangen. Frankreich, das führende Atomstromland Europas, produziert solche Überschüsse, dass es alleine im Vorjahr 91 Terawattstunden Grundlaststrom billig exportiert hat - was der Produktion von 12 Atomkraftwerken entspricht. Gleichzeitig wird immer mehr Spitzenstrom teuer importiert. Um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, werden alte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen und neue Gaskraftwerke gebaut.

Tschernobyl

Und auch in China läuft bei weitem nicht alles wie geschmiert: Als 1985 das erste AKW bestellt wurde, wollte die Regierung bis zum Jahr 2000 eine Leistung von 20.000 MW installieren. Tatsächlich war es rund ein Zehntel. Momentan liefern die neun betriebenen Anlagen rund 2 Prozent des chinesischen Elektrizitätsbedarfes.

Weltweit laufen 442 AKW. Sie liefern 16 Prozent des Elektrizitäts- und sechs Prozent des Energiebedarfes. In den kommenden zehn Jahren werden mehr als 80 Reaktoren länger als 40 Jahre in Betrieb sein und stehen somit zur planmäßig zur Schließung an. Bei den herrschenden Lieferengpässen der Industrie und Vorlaufzeiten von mindestens zehn Jahren wäre es unmöglich diese zu ersetzen, erklärt Schneider. Doch um mit Hilfe von Atomkraftwerken den Treibhauseffekt zu bekämpfen, müsste bald der Bestand um hunderte Anlagen aufgestockt werden - ein "noch unmöglicheres" Unterfangen.

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Wirtschaftlich sinnlos

Warum es in Europa und in den USA so gut wie keine Bestellungen für AKW gibt, hat aber wirtschaftliche Gründe: Wegen der Liberalisierung des Energiesektors müssen sich neue Anlagen schnell rechnen. Deshalb schossen in den vergangenen Jahren etwa in den USA kleine Gaskraftwerke aus dem Boden, während die meist zehnmal größeren AKW aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht in Erwägung gezogen wurden. Anders stellt sich die Situation bei in Betrieb befindlichen Anlagen dar: Sie profitieren von den ständig steigenden Öl- und Gaspreisen, die Konkurrenten belasten.

Doch Atomstrom sei nur durch eine Reihe von Privilegien billiger als etwa Strom aus erneuerbaren Energien, erklärt Henrik Paulitz von den Internationalen Ärzten für die Verhütung eines Atomkrieges: Uran ist ebenso von der Steuer befreit wie etwa die Rückstellungen für Atommüll, und weil Atommeiler nicht versicherbar sind, entfällt die Haftpflichtversicherung. "Wenn man die verschiedenen Privilegien zusammennimmt, ist Atomstrom weitaus teurer als Solarstrom aus Photovoltaik-Anlagen", so Paulitz. Das Schweizer Prognos-Institut ermittelte einen Preis von zwei Euro pro Kilowattstunde Atomstrom, bei Einbeziehung aller "externen Kosten" inklusive des Risikos einer Reaktorkatastrophe - ewa das 100-fache des jetzigen Preises.