Achtung Klimaschutz
Quelle: Kurier vom 19.4.2008, Author Clemens Neuhold

Heiligt der Zweck die Mittel?

"Die Atomenergie leistet einen wichtigen Beitrag zu unserem Kampf gegen den Klimawandel", sagte EU-Energiekommissar Andris Pieblags vergangene Woche vor dem Verband der Atomindustrie und bestätigte damit den eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Klimaschutz und der Renaissance der Atomkraft. Die Atomlobby hat es in einem genialen PR-Schachzug geschafft, sich als Teil der "low carbon society" zu positionieren und ihr Image aufzupolieren. Dank des EU-Klimaschutzpaketes.

Kollateralschaden

Wer nur auf die Co2-Bilanz bis 2020 schaut, muss angesichts steigenden Energiebedarfs für neue Atommeiler sein. Die sind ja "low carbon". Dass Nuklearenergie keineswegs klimaneutral ist, weil die Produktion Unmengen an Energie verbraucht und wegen des Atommülls keineswegs erneuerbar ist, wird vom 2020er-Ziel überschattet. Nun ist nicht jedes Land mit Wasserkraft gesegnet, wie die Alpenrepublik. Doch werden Atom-Nationen wie Frankreich und Großbritannien in ihrer Energiepolitik noch bestärkt, läuft etwas falsch. So wächst der Druck auf Deutschland, den Atomausstieg zu überdenken, wenn die Standortkonkurrenten ringsum neu aufrüsten. Die deutschen Energieriesen werden schon unruhig. Das wäre ein veritabler Kollateralschaden der EU-Klimapolitik. Ist doch gerade Deutschland Vorreiter bei der wirklich erneuerbaren Energie aus Wind, Sonne, Biomasse.

Tank oder Teller

So wie Piebalgs die Atomkraft lobt, bricht Umweltkommissar Dimas eine Lanze für die Ackertreibstoffe. 2003 hat die EU ihre Offensive für aus Weizen, Mais, Palmöl oder Raps hergestellte Treibstoffe gestartet. Bis 2020 sollen sie zu 10 Prozent dem fossilen Treibstoff beigemischt werden. Die EU startete ihre Biosprit-Offensive in einem Jahr mit sehr niedrigen Lebensmittelpreisen. Heute ist alles anders. Dürren und der massiv gestiegene Appetit der Asiaten auf Agrarrohstoffe ließ die Preise weltweit explodieren. Und der Biosprit wirkt wie ein zusätzlicher Zünder. Wenn Bauern Biosprit statt zusätzlicher Nahrungsmittel erzeugen, verstärkt das den Hunger. Außerdem liefert das 2020-er Ziel Spekulanten neue Nahrung, auf hohe Rohstoffpreise in Zukunft zu setzen, was die Preise noch zusätzlich hoch hält.

Doch es gibt eben das 2020er Ziel und deswegen wird am Biotreibstoff festgehalten. Die Energiepflanzen wachsen nach, deswegen sind Biotreibstoffe im Gegensatz zum Öl aus Nahost "low carbon", lautet das Mantra. Doch eine Studie jagt die andere, die den Energiepflanzen eine noch schlechtere Klimabilanz bescheinigen als den fossilen Treibstoffen. Grund ist die aufwändige Produktion in der Landwirtschaft samt Wasserverschwendung und Freisetzung von Lachgas (das 300mal klimaschädlicher ist als Co2).

Weich und hart

Beim Biosprit bleiben die EU-Politiker hart, rasch weich geworden sind sie bei Konzernen, die auf Ausnahmen im Klimaschutz drängten. Während künftig kleine und mittlere Industriebetriebe für die 2020er Ziele schlucken müssen, dürfen Schwerindustrie und Autoproduzenten die Luft weiter gratis verschmutzen.

Flexible Mittel

Mehr Atomkraft, mehr Hunger wegen Biokraftstoff und Freibriefe für Multis: Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Die EU soll am 2020er Ziel festhalten, doch flexibel bei den Mitteln sein. Wenn Biotreibstoff nicht die Lösung ist, muss Brüssel davon abgehen und gleichzeitig mehr Druck machen aufs Energiesparen, auf Wärmedämmung im Wohnbau, auf Pkw-Mauten und auf die Eigenverantwortung der Bürger. Zu nichts davon kann Brüssel die Länder zwingen, doch jedes Land hat seine Verpflichtung, Co2 einzusparen. Wenn das so wie in Österreich ignoriert wird, weil die Landesfürsten bei der Wärmedämmung bremsen und die Regierungsparteien bei der Pkw-Maut, dann können nur regelmäßige Mahnbriefe helfen.

Lieber Pkw-Maut, Kleinwagen und Energiespartage in Europa als mehr Hunger und mehr Atomkraft in der Welt.