"Die Energiewende ist machbar"
Quelle: Frankfurter Rundschau - Ein Interviev mit Professor Peter Hennicke

Professor Peter Hennicke, Ex-Präsident Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, sieht Ökostrom und Effizienz als Leitmärkte der Zukunft.

Herr Professor Hennicke, Sie haben vor einem Vierteljahrhundert das Konzept der "Energiewende" mitentwickelt - Energieversorgung ohne Atom, Erdöl und Kohle. Wie steht es damit?

Damals war die Energiewende nur eine Utopie, wenn auch gut begründet. Heute ist sie ein mehrheitsfähiges Konzept - und zukünftig eine schlichte Notwendigkeit für ein Energiesystem, das Umwelt- und Klimarisiken minimiert und nachhaltig ist. Damals gab es Energiewende-Szenarien für wenige Länder wie Deutschland. Heute ist die technische Machbarkeit weltweit nachgewiesen. Das ändert allerdings nichts daran, dass wir von der realen Energiewende noch weit entfernt sind. Noch liegt die "Weltmacht Energie" mit dem Klima- und Ressourcenschutz auf Kollisionskurs. Und die Zeit für den Richtungswechsel wird knapp.

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Das Ziel war in den 80er Jahren, bis 2030 die Hälfte des Energieverbrauchs einzusparen. Ist das noch drin?

Die Voraussetzung dafür war eine "Ökonomie des Vermeidens" von unnötigem Energieverbrauch. Also eine Effizienzrevolution. Sie steht mehr denn je auf der Tagesordnung - zumal wir heute noch sicherer wissen, dass der Primärenergiebedarf in Industrieländern wie Deutschland bis 2050 fast halbiert und weltweit nahezu stabilisiert werden kann. Der verbleibende Restbedarf kann dann leichter und billiger mit erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Wohlgemerkt: all dies bei wachsender Lebensqualität.

Die Klimaforscher fordern: Die Industriestaaten müssen ihren CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent senken. Klingt utopisch…

Wenn dies utopisch wäre, dann hätten sich die besten deutschen Energie- und Klimaexperten in drei Bundestags-Enquetekommission nur mit Utopien beschäftigt. Nein, das Gegenteil ist der Fall: Deutschland verfügt wegen dieser Arbeiten weltweit über die beste Datenbasis und die besten Analysen. Sie zeigen: 40 Prozent Minderung der Treibhausgase sind mit volkswirtschaftlichem Gewinn bis 2020 erreichbar. 80 Prozent bis 2050 verursachen vertretbare Zusatzkosten, aber sie senken drastisch die Importabhängigkeit und positionieren unsere Energiewirtschaft auf den "GreenTech"-Leitmärkten der Zukunft.

Aktuell gibt es Streit um die "Stromlücke". Die Stromkonzerne warnen: Wenn die AKW abgeschaltet werden und die geplanten Kohlekraftwerke nicht gebaut werden können, muss Deutschland bald Strom importieren. Das wäre dramatisch.

Das ist eine Legende wie das alte Schreckgespenst, dass die Lichter ausgehen. Dies tritt nur ein, wenn man die Augen vor den risikoarmen und wirtschaftlichen Alternativen verschließt. Die vom Wuppertal Institut für die Energiewirtschaft durchgeführten Analyse zeigen: Binnen zehn Jahren können 100 bis 120 Terrawattstunden Strom eingespart werden, der überwiegende Teil davon höchst rentabel. Das entspricht rund einem Fünftel des aktuellen Strombedarfs in Deutschland und würde drei Viertel des Atomstroms überflüssig machen.

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Aber die restlichen vier Fünftel des Stroms müssen irgendwo her kommen.

Natürlich, aber es gibt umweltfreundlichen Ersatz für die alten Kraftwerke: Erstens grundlastfähige erneuerbare Energien wie Biomasse, Windkraft aus Anlagen im Meer, Geothermie sowie Solarstrom-Importe aus der Mittelmeer-Region. Zweitens Strom aus dezentralen Anlagen in Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Drittens ein mit den Klimaschutzzielen kompatibler Ersatz von 15 Gigawatt hocheffizienter fossiler Kraftwerke, wo eben möglich ebenfalls in KWK.

Aber die Stromkosten sind dann höher als heute.

Nur vorübergehend und in vertretbarer Größenordnung. Die erneuerbaren Energien werden durch Massenproduktion billiger. In 15 bis 20 Jahren wird dadurch die Stromerzeugung aus Kohle oder Gas unterboten - denn deren Kosten steigen, wenn CO2 durch den Emissionshandel oder die geplante Abscheidung und Deponierung unter der Erde einen angemessenen Preis erhält.

Sie haben früher eine Re-Kommunalisierung der Energieversorgung gefordert. Warum?

Ich fordere sie immer noch.
Der Grund: Ein größerer Anteil erneuerbarer Energien und Energiedienstleistungen muss vor Ort erschlossen werden. Hierfür sind bürgernahe Unternehmen in den Kommunen geborene Partner. Ob private, auf maximalen Gewinn zielende Unternehmen ausreichend gesellschaftlich verantwortlich wirtschaften, bleibt eine offene Frage. Ein nationaler Fonds für Effizienz und vernünftige Anreize könnten aber zum Beispiel dafür sorgen, dass auch die vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mehr zur ökologischen Modernisierung beitragen. Zu deutsch: weniger mit Kohle, dafür mehr mit Effizienz und erneuerbaren Energien Geld verdienen.

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Der Trend ging in die Gegenrichtung: mehr Konzentration, mehr Machtballung. Was tun?

Dieser Gegentrend beruht auf Weichenstellungen der Energiepolitik Ende der 90er Jahre. Damals wurde zwar nominell der Wettbewerb im Stromsektor eingeführt. Doch die Marktbeherrschung der Konzerne wurde durch Zusammenschlüsse und den Monopolbesitz an Primärenergien, Kraftwerken und Netzen sogar noch größer. Der Energiemarkt funktioniert nur dann, wenn er streng reguliert ist: Mehr Wettbewerb, offener Marktzutritt für Newcomer und Anbietervielfalt können nur vom Staat gegen die "Platzhirsche" durchgesetzt werden.

Die EU will Stromnetze und Stromproduktion trennen, um mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Die Bundesregierung will nur eine bessere Aufsicht.
Welches Konzept ist besser?


Die eigentumsmäßige Entflechtung von Stromproduktion und Hochspannungsnetzen. Allerdings nicht per se. Sie macht Sinn, wenn sie Marktmacht abbaut und flankiert wird durch Regeln, Anreize und Vereinbarungen, die mehr Investitionen in erneuerbare Energien und in Energieeffizienz sicherstellen. Dass die Konzerne derzeit in der öffentlichen Meinung so schlecht dastehen, liegt auch darin, dass sie die Kernkraft rückwärts verteidigen, statt massiv in Zukunftsmärkte - Effizienz, erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung - einzusteigen.

Das Wuppertal Institut hat immer betont: Eine zukunftsfähige Wirtschaft muss nicht nur mit Energie, sondern mit allen Ressourcen viel effizienter umgehen. Das hat sich, anders als beim Thema Energie, noch nicht so durchgesetzt. Warum?

Weder die enormen Chancen der Energie- noch der Materialeffizienz sind bisher wirklich erkannt, geschweige denn umgesetzt worden. Der Grund: Hier geht es um Tausende von Techniken, Herstellern, Anwendern, um Prozesse und Produkte, und dabei ist Marktversagen und fehlende Transparenz nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Eine vorsorgende Industrie- und Dienstleistungspolitik muss deswegen neue Wege gehen: durch Information, Netzwerke, Dialog und Anreize. Allein der Leitmarkt Energieeffizienz wird von der Wirtschaftsberatung Roland Berger weltweit mit 450 Milliarden Euro beziffert. Die Märkte für Materialeffizienz liegen noch erheblich darüber. Und die Steigerung der Ressourceneffizienz ist der ökonomisch attraktivste Schlüssel zum Klima- und zum Ressourcenschutz.

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Was sind die Forschungsaufgaben der Zukunft?

Es ist in Deutschland noch gar nicht angekommen, wie verwundbar eine exportorientierte Wirtschaft und Gesellschaft bei steigender Rohstoff-Abhängigkeiten und steigenden Rohstoff-Preisen ist. Bisher ist uns derhoch bewertete Euro zu Hilfe gekommen, aber das ist nur eine Atempause. Also heißt die wichtigste Frage: Wie kommen wir weg von der Öl- und Rohstoffabhängigkeit? Darauf gibt es noch nicht wirklich ein schlüssige Antwort. Die müssen wir finden.

Das Wuppertal-Institut, früher voll aus Mitteln des Landes NRW finanziert, lebt zu 80 Prozent durch Fremdaufträge. Engt das die Freiheit, Neues zu entwickeln, nicht ein?

Die Forschung zur Nachhaltigkeit soll sowohl wissenschaftliche Exzellenz als auch gesellschaftliche Relevanz - also: konkrete Lösungen - bringen. Das sagen alle. Wer das will, muss aber auch Freiräume für grundlegende, für quer liegende und auch unbequeme Ideen schaffen. Das geht nur, wenn nicht nur hinter Projekten und Artikeln in Wissenschaftszeitschriften hinterher gejagt wird. Es muss Raum für Grundlagenforschung bleiben. Das erfordert eine Aufstockung der Grundfinanzierung. Und daran wird gearbeitet.

Interview: Joachim Wille