Atom-Streit: Österreich gibt nach

Die EU wird die Erforschung von leistungsstärkeren Atomkraftwerken fördern. Österreich hat auf sein Veto verzichtet
Quelle: Kurier v.29.2.2008, Autor Clemens Neuhold

Europäische Forscher werden in Zukunft über die Entwicklung neuer Atomkraftwerke brüten, finanziert mit Mitteln der Europäischen Union. Österreich verzichtete bei einer Abstimmung über das entsprechende Forschungsprogramm auf sein Veto.

"Österreich hat höflich Nein gesagt und sich der Stimme enthalten", sagte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein in Brüssel zerknirscht. Ehemalige Mitstreiter gegen die Atomkraft wie Irland Luxemburg und Dänemark hatten diesmal umgeschwenkt, also 1:26.

"Wir haben den europäischen Weg gewählt und einen Konsens nicht verhindert, auch wegen unserer Interessen an den Initiativen im Bereich Wind-, Solarenergie und Biomasse.
Bei einem Veto hätten Bundeskanzler Alfred Gusenbauer mit Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy am EU-Gipfel im März weiterstreiten müssen. In Frankreich produzieren 58 Reaktoren 78 Prozent des Stromes.
Doch auch Österreich ist keine Insel der Öko-Seligen. 30 Prozent des importierten Stroms sind Atomstrom. In Tirol und Kärnten liegt der Anteil des Atomstroms deutlich über zehn Prozent.

Renaissance

Die Forschungsinitiative für die sogenannten "schnellen Brüter" der 4.Generation passt zur Rückbesinnung Europas auf die Kernkraft. Sie sollen 50 mal effizienter werden.
EU-Länder, die nicht wie Öaterreich mit Wasserkraft gesegnet sind, setzen wieder vermehrt auf neue Reaktoren. Auch deswegen, weil diese im Vergleich zu Kohlekraftwerken klimafreundlicher sind. An diesem Nutzen fürs Klima scheiden sich in Forscherkreisen aber bereits die Geister.

Österreich wollte die EU-Kollegen bei Abstimmung darauf festnageln, Forschungsgelder nur in die Sicherheit von AKW und in die Entsorgung von Atommüll zu stecken. Mit der jetzigen Stimmenthaltung wird es für die anderen Länder aber künftig möglich sein, Österreich bei konkreten Projekten zu überstimmen.
Da Österreich Mitglied der Euratom ist, überweist es schon jetzt 40 Mio.Euro jährlich an die "Atom-Lobby".

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Von der Atomkraft profitiert ein Handvoll Grosskonzerne

Österreich ist in Europa wieder einmal aufmüpfig. Die EU-Kommission arbeitet ­daran, die Energiezufuhr der kommenden Jahrzehnte sicherzustellen. Unter dem sperrigen Titel "SET-Plan" gibt es ein Strategiepapier, das zukunftsträchtige Energiequellen definiert, die aus Mitteln der Gemeinschaft mit Milliarden-Beträgen gefördert werden sollen. Es geht um Windkraft, ­Solarenergie und Biomasse, aber auch um die Erforschung und Förderung der Kernspaltung. Es klingt nach Star Trek, was Europas Atomlobby der EU-Kommission ins Ohr geflüstert hat: 2040 soll es Kernkraftwerke geben, die mit derselben Menge ­Uranium die 50-fache Energieleistung produzieren.

26 EU-Länder trauen dieser Vision, mit einer grossen Summe Geld, Kernkraft sicher und nachhaltig zu machen. Die meisten Träume der Atombranche sind bisher zerplatzt oder schlicht nicht umsetzbar. Kernspaltung ist nach wie vor auch in Deutschland, England, Frankreich und den USA höchst unsicher, beim Thema Kernfusion gibt es kaum Fortschritte, die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist teuer und ungelöst. Schon jetzt gehen knapp zehn Prozent der europäischen Energieförderungen in die Kernkraft und werden unter anderem für die Sanierung maroder Ost-AKW verwendet.

Österreich zahlt mit, will jetzt einen Schlusstrich ziehen und steht allein auf weiter Flur da. Gestern erzielte Wirtschaftsminister Martin Bartenstein im EU-Energie-Rat einen winzigen Teilerfolg. Zumindest das Thema Kernspaltung ist nicht mehr im Zukunftspapier der EU zu Energie enthalten. Das heisst aber nicht, dass die EU-Kommission davon Abstand nehmen wird. Österreich muss hoffen, dass Bartenstein in dieser Sache hart bleibt. Denn neben allen ungelösten Sicherheitsfragen wäre die Förderung von Kernenergie mit EU-Mitteln ein Schaden für die heimische Wirtschaft.

Österreichische Betriebe behaupten sich weltweit erfolgreich als Spezialisten für alternative Energieträger, als Technologielieferanten für Produkte, die mit weniger Energie mehr Leistung bringen. Die Produkte kommen in der Kfz-Branche, im Hausbau und in vielen Industriezweigen zum Einsatz. Auch das heimische Wirtschaftswachstum wird von diesen Technologien abhängen, die Lösungen für knapper werdende Ressourcen liefern. Von einem Ausbau der Atomenergie profitieren eine Handvoll europäischer Grosskonzerne, die darauf hoffen müssen, dass der Tropf staatlicher Förderungen nicht versiegt.