Verbund: „Sofortiger Atomausstieg undenkbar“
Quelle: 24.03.2011 | 18:28 | (Die Presse)

Von Atomkraft unabhängig könne man frühestens in 15 Jahren sein, sagt Anzengruber. Japans Katastrophe habe in Europa unrealistische Erwartungen geweckt.

Aktuell werden in Europa 143 Atomkraftwerke betrieben, sie sind für 28 Prozent der produzierten Energie verantwortlich. Der mit Abstand größte Konsument von Atomenergie ist Frankreich. Die 59 Reaktoren des Betreibers Electricité de France decken drei Viertel des französischen Strombedarfs. In Deutschland waren zuletzt 17 AKW am Netz, sieben davon ließ Kanzlerin Angela Merkel nach der Katastrophe von Fukushima abschalten. Österreich betreibt zwar keine Atomkraftwerke, importiert aber etwa sechs Prozent seines Bedarfs in Form von Atomenergie.

„Völlige Sicherheit gibt es nicht“

Anzengruber betont, dass er dem Thema Atomstrom grundsätzlich skeptisch gegenübersteht. „Wie unkalkulierbar das Risiko ist, sieht man daran, dass eine Versicherung nicht möglich ist.“ Während sich der Betreiber eines Wasser- oder Windkraftwerks gegen Unfälle oder Naturkatastrophen versichern kann, weigern sich bei AKW die Versicherungen.

Als problematisch bezeichnet der Verbund-Chef die Tatsache, dass aus Kostengründen viele Atomkraftwerke in der Nähe der Konsumenten gebaut wurden. Fukushima liegt etwa 250 Kilometer von der Millionenstadt Tokio entfernt. Das spart Transportkosten, erhöht aber das Risiko im Falle eines Unfalls enorm.

„Klar muss aber sein, dass es keine völlige Sicherheit gibt“, sagt Anzengruber. Ebenso wie bei Atomkraftwerken könne es auch bei Wind- und Wasserkraftwerken zu Unfällen kommen. Die Frage, ob er im Falle eines Erdbebens der Stärke 9,0 in der Nähe eines Wasserkraftwerks würde wohnen wollen, wollte der Manager nicht beantworten.

Ob der Ausstieg aus der Atomkraft in Europa gelingt oder nicht, wagt Anzengruber nicht vorherzusagen - wenn, dann „frühestens in 15 bis 20 Jahren“. Richtungsweisend werde sein, wie Deutschland mit dem verhängten Moratorium der vom Netz genommenen AKW umgeht. Merkel ließ, wie berichtet, die ältesten Reaktoren vergangene Woche abschalten.

Innerhalb von drei Monaten will die Politik nun entscheiden, ob sie wieder angehängt werden. Anzengruber erwartet, dass maximal zwei betroffene Reaktoren wieder ans Netz kommen. Seine „Hand ins Feuer legen“ würde er dafür aber nicht: „Nach den Wahlen könnte sich das anders entwickeln.“ In Deutschland gehen dieses Wochenende Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz über die Bühne.

„Von Autarkie weit entfernt“

Wie bedeutend die Atomenergie in Europa nach wie vor ist, demonstriert der Verbund-Chef anhand eines Beispiels: In den sieben abgeschalteten deutschen Reaktoren wurden in etwa 40 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs produziert. Für den Verbund bringt das deutsche Moratorium nur Gutes. Der Preis für eine Megawattstunde Strom ist seitdem um ein Zehntel auf 58 Euro gestiegen. Der österreichische Stromkonzern erzeugt jährlich 25 Millionen Megawattstunden. Steigt der Preis um einen Euro, steigen die Einnahmen um 25 Mio. Euro.

Hart ins Gericht ging Anzengruber am Donnerstag mit Umweltminister Nikolaus Berlakovich. Dessen Plan, wonach Österreich bis 2050 keine Energie mehr importieren solle, hält er für völlig unrealistisch. „Von Autarkie sind wir weit entfernt.“ Viel wichtiger sei es, Österreichs Energieverbrauch bis 2050 um die Hälfte zu reduzieren. Geht es nach Anzengruber, deckt Strom dann 50 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Heute liegt die Alpenrepublik bei 20 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2011)