01.08.2011
Höchste Radioaktivität in Fukushima seit Beben

Erschreckende Strahlungswerte im japanischen Unglücksmeiler Fukushima.

Fukushima: Tödliche Strahlenquelle
02.08.2011 | 18:15 | Von Angela Köhler (Die Presse)

In der AKW-Ruine wurde ein überraschend starkes Gesundheitsrisiko für Arbeiter gemessen. Die Behörden spielen die Gefahr für die Bevölkerung herunter.

Erneut Nuklear-Alarm für das havarierte Kernkraftwerk Fukushima I :
In einem Belüftungsschacht des japanischen AKW sind nach Angaben des Betreibers Tepco extrem überhöhte Strahlenwerte gemessen worden, die schon nach wenigen Sekunden zu schweren Gesundheitsschäden und zum Tod führen können. Am Boden überschritt die radioaktive Verseuchung demnach mit mehr als zehn Sievert pro Stunde die absolute Alarmstufe. Wie stark die Strahlung tatsächlich ist, konnte nicht einmal genau gemessen werden, da die eingesetzten Geräte noch höhere Werte nicht darstellen können.

Es muss angenommen werden, dass die Mitarbeiter, die mit dem Aufräumen des durch den Tsunami vom 11. März schwer zerstörten Reaktorgeländes beauftragt wurden, unverantwortlich hohen Risken ausgesetzt sind. Erlaubt sind maximal 250 Millisievert (also Tausendstel Sievert) pro Jahr, also ein winziger Bruchteil der in diesem Schacht aktuell vorhandenen Strahlung. Dennoch hält der Betreiber an seiner Absicht fest, das AKW bis Jänner 2012 zu stabilisieren, obwohl Wissenschaftler warnen, die Einhaltung der selbst gestellten Frist nicht über den Schutz der Einsatzkräfte zu stellen.

Herkunft von Rindfleisch verschleiert

Angst herrscht in der japanischen Bevölkerung auch vor radioaktiv verseuchten Lebensmitteln. Vor allem bei Reis und Rindfleisch wurde überhöhte Strahlung festgestellt. In mindestens 14 Präfekturen Nordostjapans soll nun die Ernte darauf überprüft werden, ob Reis und Heu die zulässigen Cäsium-Grenzwerte überschreiten.

Es sind auch Fälle bekannt geworden, bei denen Rinder heimlich an andere Orte gebracht wurden, um die Herkunft aus der Havariezone um Fukushima zu verschleiern. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Kyodo soll es sich um 1300 Tiere handeln, die an Schlachthöfe im ganzen Land geliefert worden waren. Selbst in den Luxus-Steakrestaurants von Tokio meiden Feinschmecker nun das berühmte Kobe-Beef, weil niemand sicher sein kann, ob das Futter kontaminiert war. Allerdings ist bisher noch nicht bewiesen, ob dieses Fleisch tatsächlich die Konsumenten erreicht hat. Inzwischen wurde ein Lieferstopp für Fukushima-Rinder verhängt.

Die Regierung reagiert einmal mehr hilflos. Vor wenigen Tagen wurde eine „Empfehlung“ herausgegeben, weitere 59 Häuser in potenziellen Gefahrengebieten wie der Stadt Minamisoma freiwillig zu räumen. Die als „Hotspots“ beschriebenen Gebäude könnten eine Strahlenbelastung erreichen, die zulässige Höchstgrenzen überschreitet.

Schon im vergangenen Monat sind rund 100 Haushalte, die eigentlich außerhalb der staatlich verordneten 20-Kilometer-Evakuierungszone liegen, zu Hotspots erklärt worden. Da dort die Strahlenwerte nur sporadisch höher sind als zulässig, überlässt es die Regierung den Betroffenen, ob sie ihr Eigentum verlassen und sich in Notunterkünfte begeben wollen. Selbst Schwangeren und Kindern wird eine Flucht aus der Gefahrenzone lediglich „nahegelegt“.

Ihnen wird zwar Hilfe in Aussicht gestellt, bisher ist nur sehr wenig angekommen. Die Regierung einigte sich erst vor wenigen Tagen auf Wiederaufbauarbeiten im Kostenbereich von bis zu 220 Mrd. Euro, die durch Budgetkürzungen an anderer Stelle sowie Steuererhöhungen finanziert werden sollen. Zusätzlich wurden Hilfspakete für laufende Ausgaben in der Höhe von 116 Mrd. Euro und ein Notfonds von 53 Mrd. Euro geschnürt. Aus den Erfahrungen des Kobe-Erdbebens 1995 dauert es aber mehrere Jahre, ehe diese Mittel greifen.

Lehrer zum Lügen gezwungen

Nach der Katastrophe hat die Regierung 470.000 Menschen aus der Krisenregion gebracht. Mehr als zwei Millionen, darunter 271.000 Kinder, sind in der Fukushima-Präfektur geblieben. Viele besorgte Eltern verlangen, dass zumindest die Kinder aus diesem Gebiet gebracht werden. Aber die lokalen Behörden sind eher interessiert daran, die Menschen vor Ort und damit das Leben einigermaßen „normal“ zu halten.

Dabei wird immer häufiger die nukleare Strahlungsgefahr heruntergespielt. So hatte der Lehrer Toshinori Shishido im Unterricht wiederholt über die bedrohliche Lage gesprochen und seine Schüler aufgefordert, im Freien Schutzmasken und lange Kleidung zu tragen. Die Schulleitung der „Fukushima Nishi High School“ jedoch verdonnerte den Pädagogen zum Stillschweigen. Die Obrigkeit forderte den Lehrer auf, die Kinder „nicht zu alarmieren und zu beunruhigen“.

Der Mann, der 25 Jahre lang Literatur lehrte, schmiss darauf seinen Job hin, um nicht lügen zu müssen. „Ich kann nicht damit leben, meine Schüler nicht einmal vor radioaktiver Strahlung warnen zu dürfen.“