Klimaschutz kann sich für EU rechnen
Quelle: 03.12.2009 | 18:25 | WOLFGANG BÖHM UND OLIVER GRIMM (Die Presse)

Europa ist nicht Opfer seiner ehrgeizigen Klimaziele, sondern es könnte davon erheblich profitieren. Rasche Investitionen in grüne Technologie bringen Wettbewerbsvorteile.

Voraussetzung sind allerdings rasche Investitionen in grüne Technologie. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK) gemeinsam mit vier weiteren Forschungseinrichtungen. Die Untersuchung wurde unterstützt durch den Versicherungskonzern Allianz und die Umweltstiftung WWF. „Für Europa macht sich der rechtzeitige Einstieg in einen umfassenden Klimaschutz sogar im Alleingang durch deutlich niedrigere Kosten bezahlt“, schreibt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des PIK.

Die Studie empfiehlt eine vollständige Dekarbonisierung des Energiesektors. Dafür müsste auf erneuerbare Energien und die CO2-Abscheidungs- und -Speicherungstechnik (CCS) gesetzt werden. Im Verkehrssektor fordert die Studie Investitionen in neue Technologien (zum Beispiel Elektromotoren) und eine bessere Logistik im Güterverkehr. Die PIK-Forscher weisen Befürchtungen zurück, dass viele Branchen durch den Klimaschutz benachteiligt werden könnten. Nur die Aluminium- und die Stahlindustrie könnten negativ betroffen sein. Der Bedarf an grüner Technologie werde vielmehr ein nachhaltiges Investitionswachstum schaffen.

„Der Schlüssel für einen bezahlbaren Klimaschutz sind verbindliche und umgehend wirksame politische Rahmenbedingungen für das kommende Jahrzehnt“, fasst Edenhofer das Ergebnis der Studie zusammen. Nach 2020 würde sich dieses Zeitfenster wieder schließen.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass sich beispielsweise Investitionen in CO2-Speicherung doppelt rechnen werden. Denn diese Technologie würde die Kosten für CO2-Zertifikate deutlich reduzieren. Gleichzeitig hätte die Methode gute Chancen, zu einem Exportschlager zu werden. Bei dieser Technologie werden Emissionen von Kraftwerken und Industriebetrieben verflüssigt und in Steinschichten im Untergrund gelagert.

In zahlreichen Sektoren grüner Technologie – wie Solartechnik oder Bioenergie – ist Europa schon heute führend. Dies zeigt sich auch in der Aktienentwicklung der beteiligten Unternehmen. Dass sich das Engagement rechnen wird, davon ist auch Siemens-Chef Peter Löscher überzeugt. Er hat angekündigt, seinen Konzern zu einem Vorreiter grüner Technologie umzugestalten. Löscher spricht in einem Interview mit „Focus“ von „gigantischen Wachstumschancen“. Innerhalb der nächsten zwei Jahre will der Konzern den grünen Umsatz von 19 auf 25 Mrd. Euro steigern.

Industrie denkt um
Langjährige Teilnehmer an Klimaschutzkonferenzen bemerken ein gestiegenes Interesse der Industriekonzerne an diesem Thema: „Vor sieben Jahren, bei der Konferenz in Johannesburg, waren plötzlich all die großen Konzerne auch vertreten“, sagte der liberale EU-Parlamentarier Chris Davies bei einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel am Mittwochabend. Davor hatte er sich mit der Spitze von Eurelectric getroffen, dem Lobbyverband der europäischen Energieversorger. „Deren Botschaft ist klar: Ja, wir können unsere Branche bis Mitte dieses Jahrhunderts CO2-neutral machen. Aber dazu brauchen wir klare Vorgaben der Politik.“

Auch andere Industriezweige haben erkannt, dass der Klimaschutz erstens keine politische Modeerscheinung ist und zweitens viel Geld einbringen kann. Gemäß einer Studie der Unternehmensberatungsfirma Roland Berger für das deutsche Umweltministerium dürfte sich bis 2020 der Anteil der Umwelttechnologien an der deutschen Wirtschaftsleistung von derzeit acht auf 14 Prozent erhöhen.

Der weltweite Markt für sparsamere Heizungen, effizientere Lüftungssysteme und ähnliche Technologien soll dann dieser Studie zufolge 3,2 Billionen Euro schwer sein. Europas Industrie könnte ein Viertel davon für sich beanspruchen. Und sie ist fest entschlossen, das zu tun. „2020 wird Umwelttechnologie in Deutschland die Autoindustrie und den Maschinenbau überholt haben“, sagte Siemens-Chef Löscher in der Vorwoche zur „Financial Times“.