Nicht reden, sondern handeln
Quelle: ntv 30. Mai 2007
Hermann Scheer, Träger des Alternativen Nobelpreises und weltweit anerkannter Umweltexperte, will lieber handeln statt reden.
Im Gespräch mit n-tv.de erklärt er, warum Klimaschutz eine Revolution braucht.
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Herr Scheer, auf Ihrer Homepage begrüßen Sie die Leser mit der Aussage, Sprechblasen würde man woanders finden. Was sagen Sie zu den
Sprechblasen, die beim ASEM-Gipfel abgesondert wurden?
Scheer:
Die sind nicht überraschend, denn auf der internationalen Ebene ist es bezogen auf Klima- und Umweltfragen seit Jahr und Tag üblich, dem
Motto "global reden, national aufschieben" zu folgen. Das Problem des Klimawandels ist zwar erkannt, aber Konsequenzen werden daraus nicht gezogen.
Eine Fülle von Ausreden steht zur Verfügung. Und das Ganze basiert auf der falschen Grundannahme, dass der Wechsel zu erneuerbaren
Energien eine wirtschaftliche Last sei. Und was als Last empfunden wird, führt zu dem Gefeilsche auf dem globalen Basar der so genannten Lastenverteilung.
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Das heißt: Klimaschutz ist gar keine wirtschaftliche Last?
Es ist eine riesige, einzigartige und unverzichtbare wirtschaftliche Chance für jeden Staat, der das macht. Es ist falsch, sich auf den Lösungsweg internationaler Verhandlungen zu versteifen, mit dem Ergebnis, dass man nicht vorankommt. Es handelt sich bei dem Strukturwandel der Energieversorgung um eine neue technologische Revolution. Und keine technologische Revolution, das zeigen 200 Jahre Industriezeitalter - ist jemals durch einen internationalen Vertrag entstanden.
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Das führt uns direkt zum G8-Gipfel. Welche Chancen hat dort das Thema Klimaschutz, nachdem die Haltungen der USA und China schon im
Vorfeld so deutlich auf dem Tisch liegen?
Es ist eine Wiederholung der Geschehnisse, die wir auf früheren Gipfeln erlebt haben. Lediglich die Zahl der Teilnehmer und der Medienvertreter steigt und die Erwartungen steigen dementsprechend. Aber sie können nur enttäuscht werden. Es gibt einen unüberbrückbaren methodischen Gegensatz zwischen Konsensbemühungen und Beschleunigung. Wer Konsens haben will, muss sich auf Minimal-Kompromisse einlassen. Wer aber beschleunigen will, muss einen anderen Weg gehen. Und der heißt: Schneller sein als andere, weil es der eigenen Wirtschaftsentwicklung und der Wettbewerbsfähigkeit nützt.
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Wie stehen Sie zu dem offiziellen G8-Ziel, die CO2-Emissionen bis 2050 zu halbieren?
Ich halte das Ziel sogar für suboptimal. Ich denke, es ist möglich, einen vollständigen Wechsel zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Solche Berechnungen gibt es schon seit 30 Jahren. Sie werden nur systematisch und gerne ignoriert, weil sie stark mit den eingespielten energiewirtschaftlichen Interessen kollidieren. Der Standpunkt, die heutige fossile und atomare Energie-Basis sei unverzichtbar, ist ein Interessen-Standpunkt, keine objektive Feststellung.
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Kurz gesagt: Auch in Deutschland hat die Energiewirtschaft den Hut auf?
Sie hat nicht vollständig den Hut auf, aber zu starken Einfluss. Man kann das am Erneuerbare-Energien-Gesetz sehen, das in der Grundstruktur in über 40 Ländern übernommen worden ist, ohne internationale Verträge, nur einem Beispiel folgend. Dieses Gesetz wird seit Jahr und Tag von der Energie-Wirtschaft bekämpft, weil die Einführung erneuerbarer Energien ihren Interessen widerspricht.
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Den kurzfristigen Gewinnen?
Nein, es ist sehr viel mehr, nämlich die gesamte Struktur der Energie-Bereitstellung. Aus physikalischen Gründen muss die Energie-Bereitstellung - also die Kraftwerke, die Raffinerien und die Transporte - zugeschnitten sein auf die Energiequelle, für die man sich irgendwann entschieden hat. Und dieses System ist für andere Energiequellen nicht geeignet. Es wären also völlig neue Investitionen nötig. Und der Zeitpunkt, an dem alle bisherigen Investitionen für die herkömmliche Bereitstellung abgeschrieben sind, wird niemals erreicht, weil sie nicht alle zum selben Zeitpunkt getätigt wurden. Es kann also nicht darauf gewartet werden, bis der Energie-Wirtschaft die Quellen ausgehen und sie dadurch an die Wand fährt. Es wird nicht gehen ohne herkömmliche Kapitalvernichtung, das muss man ganz klar erkennen.
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Aber wie können die boomenden asiatischen Länder von Klimazielen überzeugt werden? Und ist deren Nachholbedarf nicht auch verständlich?
Es ist klar, dass die Länder, die heute im Vergleich zu führenden Industrieländern noch weniger als fünf oder zehn Prozent des Energieverbrauchs pro Kopf haben, darauf hinweisen, nicht Haupt-Emittenten zu sein. Dieser Standpunkt ist nachvollziehbar. Ein anderer Punkt ist es nicht. Und das ist der Punkt, dass auch dort gedacht wird, der Weg zu einer neuen Energie-Basis sei eine Last und nicht eine wirtschaftliche Chance. Und da man sie als Last betrachtet, riskiert man lieber gravierende Umweltschäden auch bei sich selbst. Wenn man wegen aktueller Mehrkosten den Wechsel scheut, kommt man wegen der schwindenden Ressourcen letztlich in ein schweres ökonomisches Debakel. Herkömmliche Energien werden immer teurer, erneuerbare Energien können dagegen nur billiger werden. Das muss man erkennen, wenn man ein bisschen über den Tellerrand schaut. In erster Linie wäre die Gründung einer Internationalen Agentur für erneuerbare Energien wichtig, als Gegenstück zur Atomenergie-Agentur und der Internationalen Energie-Agentur. Sogar letztere mauert beim Thema erneuerbare Energien. Eine Agentur für erneuerbare Energien könnte den notwendigen Techniktransfer realisieren.
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Der BUND hat gesagt, kein Abschluss beim G8-Gipfel sei besser als ein schlechter. Schließen Sie sich dem an?
Ich bin der Meinung, dass das Abschlussdokument ohnehin einen weit überschätzten Stellenwert hat. Das Thema Klimaschutz spielt jetzt im Zuge des G8-Gipfels eine riesige Rolle, allerdings wundere ich mich über das heftige Ringen, wenn man den Stellenwert des Dokumentes kennt. Es ist eine Abschlusserklärung ohne jede Verbindlichkeit. Der Aufwand, der betrieben wird, steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis, wie es auch immer ausfällt.
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Ist ein echter Politikwechsel erst möglich, wenn George W. Bush Geschichte ist?
Ein Politikwechsel ist überall möglich, schon jetzt. Wenn meine These richtig ist, dass es in erster Linie darauf ankommt, sich selbst auf den Weg zu machen, braucht man nicht auf China oder einen Regierungswechsel in den USA zu warten. Das ist eine Lehre, die viele amerikanische Städte und Staaten längst gezogen haben. Das Bild in Amerika sieht anders aus, wenn man aus Washington rausgeht und nach Kalifornien oder New Mexico schaut. Es gibt 13 amerikanische Staaten, die sich zusammengeschlossen haben, um mit einer eigenen Politik einen Gegenkurs einzuschlagen. Denen ist übrigens peinlich, was Bush macht. Man muss also entscheiden, wenn man Entscheidungsmöglichkeiten hat.
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Wenn Sie ganz alleine die Aufgabe hätten, den Klimawandel aufzuhalten. Was wären Ihre ersten drei Maßnahmen?
Die erste wäre die Einrichtung einer Internationalen Agentur für erneuerbare Energien mit einer Koalition der Willigen. Das zweite wäre ein weltweites Aufforstungsprogramm, denn man kann dadurch sehr viel CO2 rückbinden. Die dritte Maßnahme wäre der eigene forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien, dabei müssen wir den anderen vorauseilen. Das hat einen treibenden Effekt.
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Welche persönlichen Ängste spüren Sie bezogen auf den Klimawandel?
Angst macht mir, wenn alle Welt über die Gefahr diskutiert, dann aber Antworten ausbleiben. Das führt zu einer geistigen Klimazerstörung. Wenn Menschen einerseits das Problem erkennen, aber immer hören, dass es keine Alternativen zu den Ursachen gebe, kommen sie automatisch zu der Schlussfolgerung, dass das Problem nicht mehr zu lösen ist. Und das bedeutet eine lawinenartige Ausbreitung einer No-Future-Mentalität. Und das vergiftet die Gesellschaft.
(Die Fragen stellte Jochen Müter)