Ozonloch

Ozonloch größer denn je
VON JÜRGEN LANGENBACH (Die Presse) 21.10.2006

Das Ozonloch über der Antarktis ist so groß wie nie zuvor

Das Ozonloch über der Antarktis ist so groß wie nie zuvor - 27,45 Millionen Quadratkilometer, größer als Nordamerika -, das berichten einhellig alle, die es messen, die Nasa, die ESA und die für die Erde zuständige US-Behörde NOAA. Sie sind aber auch darüber einig, dass die Größe des Lochs von einer Laune der Natur kommt - extrem kalten Temperaturen über der Antarktis -, und dass sich das Loch in etwa 60 Jahren endgültig schließen wird.

Als man es 1985 erstmals maß, traute man den Daten nicht, die Ozon-Konzentrationen waren einfach zu niedrig, viel niedriger als erwartet. Niedrige Werte hatte man erwartet, seit Paul Crutzen (1970) und Sherwood Rowland und Mario Molina (1974) menschgemachte Emissionen bemerkten, die in die hohe Atmosphäre steigen und dort das "gute" Ozon zerstören (weiter unten ist Ozon "böse", es greift vor allem von Pflanzen an). Crutzen hatte es bei Stickoxiden bemerkt - sie steigen aus gedüngten Äckern und Auspuffen, hoch oben aus denen von Jets -, Rowland/Molina waren die fluorierten und chlorierten Kohlenwasserstoffe aufgefallen (FCKWs), die breit verwendet wurden, als Kühlmittel etwa.

Kommen FCKWs in Sonnenlicht, kann photochemisch freies, atomares Chlor abgespaltet werden, das Ozon (O3) angreift und es in mehreren Schritten in normalen Sauerstoff (O2) verwandelt, abgekürzt geht es so:
(1) Cl + O3 -[*] ClO + O2,
(2) ClO + O -[*] Cl + O2.
In Summe bringt das O3 + O -[*] O2 + O2, das Chlor ist wieder frei und kann sich dem nächsten Ozon zuwenden. Das ist im Prinzip überall in der hohen Atmosphäre so - die Ozonschicht dünnt sich bei uns um drei Prozent pro Dekade aus -, aber über der Antarktis geht es ins Extrem, jeden September: Wenn bei uns der Herbst kommt, bricht dort das Frühjahr an, zuvor war es drei Monate finster, es konnte keine Photochemie stattfinden. Zweitens war es in der Höhe extrem kalt, um die minus 70 Grad, es kommt daher, dass im Winter um die Antarktis ein Wind rotiert und die Luft vom Austausch abschließt. Und es führt dahin, dass sich über der Antarktis hohe Wolken bilden.

Kommt die Sonne wieder, ist die Luft voll mit erstens ozonzerstörendem Chlor und zweitens Wolken, auf deren Oberflächen die Ozon-Zerstörung rascher läuft. Dann dünnt das Ozon um bis zu 50 Prozent aus - später erholt es sich wieder -, dann könnte es für das Leben auf der Erde gefährlich werden, weil das Ozon vor UV-Strahlung schützt, die DNA beschädigt. Aber in der Antarktis gibt es nicht viel Leben, so wurde ihr Ozonloch nur zum Warnsignal: Die FCKWs müssen wieder aus der Atmosphäre, sonst dünnt das Ozon auch andernorts weiter aus. Die Politik handelte rasch - 1987 schränkte das Montrealer Protokoll die Verwendung von FCKWs stark ein -, aber die Chemie ist bisweilen träge, Chlorverbindungen sind langlebig, sie können sich in der hohen Atmosphäre 60 Jahre halten.

Das sind die 60 Jahre, die es braucht, bis die verringerte Emission endgültig wirkt. Aber leicht am Rückgang sind die Chlorverbindungen jetzt schon. Warum ist dann das Ozonloch so groß wie nie? Weil der Winter so kalt war wie nie, fünf Grad kälter als im Durchschnitt. Deshalb lösen die jetzigen Messungen keine große Aufregung aus, auch nicht bei Crutzen, der 1995 gemeinsam mit Sherwood und Molina den Nobelpreis erhielt. Er hat sich längst dem anderen großen Umweltproblem der Atmosphäre zugewandt, der globalen Erwärmung.

Auch die kommt (für die Forscher-Mehrheit) vom Menschen, vor allem vom Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), das bei Verbrennungsprozessen anfällt. Und CO2 kann man nicht so einfach verbieten wie FCKWs. Zwar gibt es auch hier einen Vertrag zur Reduktion - Kyoto-Protokoll -, aber er greift kaum. Deshalb ist Crutzen mit dem Vorschlag vorgeeilt, man möge die Erde abdunkeln, Vulkane imitieren. Das wurde erst milde belächelt, findet inzwischen aber wachsende Zustimmung
(Science, 314, S. 401).