Französischer Staatsbesuch in Grossbritannien
London und Paris wollen Renaissance der Nuklearenergie einläuten
In Grossbritannnien gibt es ambitiöse Pläne für den Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken in Zusammenarbeit mit Frankreich. Das milliardenschwere Programm soll weit über den Ersatz der bestehenden Werke hinausgehen und für die Wirtschaft ähnlich positive Effekte wie einst das Nordsee-Öl haben.
Nichts geringeres als eine Renaissance der Atomenergie sollen der britische Premierminister Brown und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy im Sinne haben, wenn sie sich am Mittwoch in London treffen. Seit Tagen berichten die Medien in Grossbritannien über die ehrgeizigen Pläne einer engen Zusammenarbeit beim Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken, deren Technik anschliessend weltweit exportiert werden soll.
Ziel Weltmarktführer
Den Bau neuer Atomkraftwerke hatte die britische Regierung bereits im vergangenen Januar angekündigt. Insgesamt 23 solche Kraftwerke müssen nach Ablauf ihrer regulären Betriebsdauer ersetzt werden. Diese liefern zur Zeit 20 Prozent der gesamten elektrischen Energie auf der Insel. Wie der britische Wirtschaftsminister John Hutton laut dem «Guardian» am Mittwoch in einer Rede aber ankündigte, soll dieser Anteil in Zukunft noch signifikant erhöht werden.
Grosses Potenzial
In Frankreich, wo die Atomenergie schon seit Jahrzehnten staatlich gefördert worden ist, kommt heute 80 Prozent des elektrischen Stromes aus Kernkraftwerken. Eine britisch-französische Atom-Allianz hätte deshalb durchaus das Potenzial, auf dem Weltmärkten neue Massstabe zu setzen. Die britischen Pläne sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zur Neige gehenden Gasvorräte in der Nordsee zu sehen. Gleichzeitig gelten die bestehenden Kohlekraftwerke wegen ihres CO2-Ausstosses als klimaschädlich.
Wirtschaftsminister Hutton betont vor allem die «atemberaubenden» wirtschaftlichen Vorteile der neuen Nuklear-Pläne: Er rechnet vor, dass rund 100'000 neue zum Teil hochqualifizierte Arbeitsplätze bei einem Investitionsvolumen von umgerechnet gut 40 Milliarden Franken geschaffen werden könnten: «Noch nie hat es global einen grösseren Bedarf für die Finanzierung, die Ausrüstung und das Know How zum Bau von Atomkraftwerken gegeben als heute. Ich möchte, dass Grossbritannien weltweit führend wird bei der Entwicklung dieser neuen Generation einer klimaschonenden Technologie.
Auf Kosten Deutschlands
Der französisch-britische Gipfel dauert bis Donnerstag und wird auch über das Thema Atomkraft hinaus als Zeichen gedeutet, dass London und Paris wieder engere Bande knüpfen wollen. Die aktuellen Pläne auf beiden Seiten des Ärmelkanals könnten dabei nicht zuletzt auf Kosten des Partners Deutschlands gehen, wo sich die Atomenergie grossen politischen Widerständen gegenübersieht. Laut geltender Vereinbarung müssen alle deutschen Atomkraftwerke bis 2021 abgeschaltet werden.
In Grossbritannien werden die Pläne der Labour-Regierung, die Privatindustrie zum Bau neuer Atomkraftwerke zu ermutigen, von den oppositionellen Konservativen unterstützt. Sie geben allerdings zu bedenken, dass bisher noch kein Atomkraftwerk ohne staatliche Beihilfe gebaut worden ist. Die Umweltschützer sind im Gegensatz dazu gespalten. Einerseits befürworten sie die Abkehr von der fossilen Energie, halten aber andererseits an der prinzipiellen Ablehnung von Atomkraftwerk fest.
Grünes Licht für neue britische Kernkraftwerke
Private Energieunternehmen nun am Zug
Die britische Regierung würde es begrüssen, wenn neue Atomkraftwerke auf privatwirtschaftlicher Basis gebaut würden. Sie schliesst staatliche Subventionen aus. Die Energieindustrie wurde eingeladen, Projekte zu unterbreiten. Die Gegner erheben zahlreiche Einwände.
In den letzten 20 Jahren sind in Grossbritannien keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut worden. Hatte vor drei Jahren bereits Premierminister Blair die verstärkte Nutzung von Atomstrom vorgeschlagen, so erklärte sein Nachfolger Brown wiederholt, ein Verzicht auf Atomstrom gefährde die langfristige Energieversorgung des Landes. Der Industrieminister Hutton hat nun im Unterhaus bekräftigt, dass die Regierung für den Bau neuer Kernkraftwerke in England und Wales eintrete, vorausgesetzt, dass private Energieunternehmen für sämtliche Kosten aufkämen.
Taktisches Zögern
Premierminister Brown hatte den Umweltschutz als eine sowohl ökologische wie wirtschaftliche Priorität herausgestrichen; er warb energisch für die Fortschreibung des Kyoto-Prozesses. Gleichzeitig legte er sich freiwillig auf eine Reduktion der britischen Treibhausgase um 60 Prozent bis 2050 und auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energie, namentlich von Wind- und Gezeitenkraftwerken, fest. Dabei wurde immer deutlicher, dass die Regierung diese Vorgaben nicht würde erfüllen können. Dies liess als pragmatischen Ausweg nur noch die von Labour zunächst nicht erwünschte Atomstrom-Produktion zu. Um die Opposition in den eigenen Reihen wie bei den Liberaldemokraten zu beruhigen und die Zweifel der Tories zu zerstreuen, schlug zuerst Blair und schlägt nun Brown den Weg zur vermehrten Gewinnung von Atomstrom nur zögerlich ein.
So ist denn Minister Hutton bei seiner Ankündigung am Donnerstag eher vage geblieben. Er lud die Energieindustrie ein, Projekte für neue Atomkraftwerke zu unterbreiten. Diese spielten im künftigen «Energiemix» des Landes durchaus eine Rolle. Er nannte allerdings keine Quote für den Anteil des Atomstroms an der gesamten künftigen Energieversorgung. Die grossen britischen und ausländischen Energiefirmen begrüssten diesen Entscheid. Sie verlangten aber klarere Planungsvorgaben, Massnahmen zur Verteuerung fossiler Energie (dies würde den Atomstrom konkurrenzfähig machen) sowie eine grössere Klarheit über die Entsorgung, die zulasten der privaten Firmen und damit der Stromkunden gehen soll. Die vom Staat zu bezahlenden Kosten für die Entsorgung des bereits angehäuften radioaktiven Abfalls werden auf mindestens 50 Milliarden Pfund geschätzt.
Gespaltene Umweltschützer
Die Konservativen unterstützten den Plan der Regierung, die Privatindustrie zum Bau neuer Atomkraftwerke zu ermutigen. Sie gaben allerdings zu bedenken, dass bisher noch kein Atomkraftwerk weltweit ohne staatliche Beihilfe gebaut worden sei. Die Umweltschützer sind gespalten. Einerseits befürworten sie die Abkehr von der fossilen Energie, aber sie glauben, die Nutzung der Atomkraft unterstütze den Kampf gegen die Treibhausgase nicht wirklich; Atomkraftwerke seien auch zu teuer und zu unsicher. Zudem befürchten die Umweltschützer, wohl nicht ganz zu Unrecht, dass die Ausrichtung auf den Atomstrom die Förderung der erneuerbaren Energie behindern könnte. Deren Anteil soll in Grossbritannien bis 2015 um das Dreifache auf 15 Prozent steigen. Für Windkraftwerke im Meer fehlen bis heute die Leitungen zum Festland.
Bis anhin liefern die 23 Atomkraftwerke rund 20 Prozent des im Land produzierten Stroms, während Frankreichs 59 Kernkraftwerke rund 80 Prozent produzieren. Das letzte britische Atomkraftwerk wird im Jahre 2023 stillgelegt. Ein neues würde frühestens 2017 in Betrieb sein, so dass zumindest vorübergehend eine geringere Menge Atomstrom produziert werden dürfte. Gleichzeitig sind die britischen Vorräte an Nordseeöl rückläufig. Das Land ist zu einem Netto-Importeur von Erdöl und Erdgas geworden. Die Abhängigkeit vom Ausland wird als Sicherheitsrisiko eingestuft.
Technologien im Rückstand
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace drohte mit einer neuen Klage, nachdem sie ein neues Energiegesetz schon im letzten Jahr gerichtlich gestoppt hatte. Sie bezeichnet mit anderen Gegnern das Lob der Regierung zum Vorteil von Atomstrom als täuschend und verlangt eine klare Ausrichtung auf erneuerbare Energie und vor allem radikale Energiesparmassnahmen. Die Technologien zur unterirdischen Lagerung von Kohlendioxid sind noch unterentwickelt. Der Atomindustrie wiederum fehlen Ingenieure für die Entwicklung der dritten Reaktor-Generation und namentlich für die Lösung des Entsorgungsproblems. Die Regierung hält vorerst an der bisherigen interimistischen Lösung bei der Entsorgung fest.