Windkraft, Bioenergie und Photovoltaik werden Atomkraft und fossile Energien ersetzen
Quelle: Bund der Energieverbraucher; Bernward Janzing
Die Tage der Atomkraftwerke sind gezählt
Stellen wir uns einmal vor, zum Jahreswechsel wären weltweit sieben neue Atomkraftwerke ans Netz gegangen: Die Atomlobby rund um den Globus hätte voller Inbrunst die Renaissance der Nuklearenergie ausgerufen. Und sie hätte es durchaus zu Recht getan.
Zum Glück ist es anders, denn genau das Gegenteil ist passiert: Am Silvestertag 2006 sind gleich sieben Reaktoren endgültig abgeschaltet worden.
Weltweit sind damit statt 442 Atommeiler nur noch 435 am Netz. Man darf das Ereignis ruhig als ein deutliches Zeichen für das langsame
Ende einer veralteten, unverantwortbaren Technologie werten. Doch die Botschaft kommt bei den Menschen nicht an.
Vielmehr hat sich bei vielen der Eindruck verfestigt, es gebe weltweit im großen Stil eine Rückkehr zur Energie aus der Kernspaltung.
Diese Wahrnehmung hat nur einen Grund:
Die Atomlobby hat eine hervorragende Öffentlichkeitsarbeit geleistet.
Die angebliche Renaissance des Nuklearstroms ist eine bewusst aufgebaute PR-Kulisse. Schließlich wissen die Atomstromer nur zu gut, dass ihre
Technik Akzeptanzprobleme hat. Also vermitteln sie den Leuten den Eindruck, sie seien inzwischen die einzigen Gegner der
Atomkraft – während alle anderen eifrig neue Meiler bauen.
Allzu oft erliegen auch die Medien dieser Propaganda. Man muss nur vergleichen, mit welcher Aufmerksamkeit die sieben abgeschalteten Kraftwerke in der Öffentlichkeit bedacht werden – mit fast gar keiner – und welche Aufmerksamkeit der Neubau eines einzigen Reaktors in Finnland erfährt. Jede Zeitung hat darüber schon ausgiebig berichtet. Das Fazit liegt auf der Hand: Die Renaissance der Atomkraft findet lediglich in den Medien statt.
Faktisch wird sich die Abkehr vom Atomstrom zumindest bis 2020 fortsetzen: Bis dahin werden weltweit auf jeden Fall mehr Atomkraftwerke vom Netz gehen als neue in Betrieb. Vergessen wir also die Pseudo-Renaissance und akzeptieren wir endlich, dass wir mit dem Atomausstieg durchaus im globalen Trend liegen.
In Europa wurde seit dem Jahr 2000 lediglich mit dem Neubau eines einzigen Atomreaktors begonnen, nämlich in Finnland. Während die Atombranche dieses Projekt als Indiz für eine Renaissance der Kerntechnik feiert, ist bereits jetzt absehbar, dass die Zahl der Meiler in Europa auch in den kommenden Jahren weiter abnehmen wird. Denn nicht nur in Deutschland ist das Ende weiterer Anlagen beschlossen; in Großbritannien beispielweise werden die Reaktoren Oldbury und Wylfa in den Jahren 2008 und 2010 abgeschaltet. Die weltweit bisher stillgelegten Atommeiler waren zumeist zwischen 24 und 26 Jahren am Netz. Wenn der deutsche Reaktor Biblis A also wie geplant 2008 vom Netz geht, wird er mit 34 Jahren gemessen am internationalen Durchschnitt schon überdurchschnittlich alt sein.
Da der Neubau von Atomkraftwerken mindestens zehn Jahre Vorlauf benötigt, ist heute offenkundig, dass die Zahl der Atomkraftwerke weltweit sinken wird. Denn in den nächsten Jahren werden zahlreiche Anlagen an ihre Altersgrenze stoßen: Geht man von einer durchschnittlichen Laufzeit von 40 Jahren aus, so werden in den kommenden zehn Jahren 80 Anlagen weltweit auslaufen müssen. In den anschließenden zehn Jahren werden weitere 200 Reaktoren die Grenze erreichen.
"Dann müßte alle 18 Tage ein neuer Reaktor ans Netz gehen, wenn man die Zahl der Atomkraftwerke weltweit konstant halten wollte", rechnet Mycle Schneider, unabhängiger Berater für Energie- und Atompolitik aus Paris, vor. Doch das ist undenkbar: Weltweit sind derzeit gerade mal 29 Anlagen in Bau – der Rückgang des Atomstroms weltweit ist damit vorprogrammiert. "Das Atomzeitalter erlebt also eher die Abend- als die Morgendämmerung", sagt Schneider.
Atom-Renaissance?
Aus den Jahresberichten der IAEO (Intern. Atomenergie-Organisation) über den Stand der Atomindustrie lässt sich kein Anzeichen für eine Atom-Renaissance ableiten. Im Gegenteil: Es geht seit Jahren kontinuierlich abwärts.
2003 sind weit weniger Reaktoren in Bau als noch vor wenigen Jahren. Einige davon gingen mittlerweile in Betrieb. In den USA, Bulgarien, Russland und Rumänien aber wurden zwölf Projekte vollständig aufgegeben. Nur in Indien sind in nennenswertem Umfang neue Projekte (acht) in Bau gegangen.
Viele der 33 Reaktoren, die laut SPIEGEL 40/03 weltweit noch in Bau sind, sind Karteileichen: Bei 14 Anlagen liegt die Auftragserteilung mehr als 15 Jahre zurück! Diese Reaktoren sind Dauerbaustellen, vermutlich schon eingestellt.
Auftragsbücher leer
In Wirklichkeit sind die Auftragsbücher der Atomindustrie seit langem leer: zum Beispiel in den USA seit 1979, in Deutschland seit 1982, in
Frankreich seit 1985, in Großbritannien seit 1980, in Russland seit 1987. Nur in Ostasien, Taiwan/China, Nord- und
Südkorea, Indien, Iran wird noch "aufgerüstet". Diese Länder haben aber eher an der militärischen als an der energiewirtschaftlichen
Nutzung der Atomkraft Interesse.
Den weltweit größten Reaktorhersteller der 70er und 80er Jahre, die US-Firma Westinghouse, gibt es seit Jahren nicht mehr. Der Betriebsteil von Westinghouse, der konventionelle Gas- und Kohlekraftwerke baute, ging an Siemens, die Atomabteilung an die berüchtigte britische Atommüllfirma BNFL, Sellafield.
Die deutschen Atomfirmen der 70er Jahre (Interatom, HTR-Gesellschaft, ABB, AEG) gingen alle Pleite. Die letzte deutsche Atomfirma KWU wurde von Siemens an Framatome in Frankreich verkauft.
Schon auf der Nuklearkonferenz ENC '90 in Lyon warnte Ian Smart (britischer Politikberater) davor, dass "das natürliche Verrotten der
Kernenergie" eintritt. Es bräuchte "nie eine ausdrückliche Entscheidung zu geben, die Kernenergie zu töten, vielmehr reicht
es aus, wenn die Entscheidungen ausbleiben, die notwendig sind, um sie am Leben zu erhalten" ("Atomwirtschaft" 12/90).
13 Jahre danach wartet die Atomindustrie noch immer auf "lebenserhaltende" Entscheidungen.
Strom aus neuen Atomkraftwerken ist nicht wirtschaftlich
Im Branchenblatt "Atomwirtschaft" schreibt die IAEO, dass Gas- und Windkraftwerke den Strom deutlich billiger erzeugen als neue Atomkraftwerke und fügt wörtlich hinzu:
"In Nordamerika und Westeuropa verspricht das Herausquetschen zusätzlicher Profite aus vorhandenen Atomkraftwerken derzeit mehr und ist weniger riskant, als sich auf eine neue Konstruktion einzulassen."
Betreiber von Atomkraftwerken brauchen keine Haftpflichtversicherung mit angemessener Deckungssumme abzuschließen, das Risiko wird auf Staat und Betroffene abgewälzt. Die meisten Entsorgungskosten werden ebenfalls dem Staat aufgebürdet. In Deutschland sind die diesbezüglichen Rückstellungen sogar steuerfrei und stehen zur freien Verfügung der Stromkonzerne.
In manchen Ländern, zum Beispiel Pakistan, Indien, Iran, Nord- und Südkorea, Brasilien, Argentinien, China, Taiwan und so weiter, erhalten die Atomkraftbetreiber hohe Subventionen aus dem Verteidigungsetat, weil es dort nicht vorrangig um die Stromerzeugung, sondern um den Griff zur Bombe geht. Atomkraftwerke als zentralistische und verbraucherferne Form der Stromerzeugung neigen mit ihrer Infrastruktur zum Black-out.
Brennstoff geht zur Neige
Die Vorkommen von Uran (hier die herkömmlichen Vorkommen im Uranerz) gehen in wenigen Jahrzehnten weltweit zu Ende – laut Bayerischem Wirtschaftsministerium und Bundesanstalt für Geowissenschaften im Jahre 2035. Die von der Atomlobby genannten Auswege wie Schneller Brüter oder Uran im Meerwasser – dort liegt die Konzentration 100.000 mal niedriger als im Uranerz – sind hoffnungslos unwirtschaftlich und werden angesichts günstigerer Energiealternativen nicht zum Zuge kommen.
Die Uranlobby schrieb 1977 (red book):
"Beim geplanten Ausbau der Atomkraft wird das Uran 1999 zu Ende sein". Nur weil der Ausbau der Atomenergie weltweit hinter der
Planung zurückblieb und nur fünf Prozent zur Energieerzeugung beiträgt – das heißt weniger als die Wasserkraft – gibt es auch heute
noch Uran mit dem oben genannten unumgänglichen Ende in gut
Fazit: Gigantisches Luftschloss
In Finnland hat es trotz des positiven Parlamentsbeschlusses vom Sommer 2002 bis heute keinen Bauauftrag oder eine konkrete
Planung gegeben. In der "Atomwirtschaft" erscheinen seit zehn Jahren hunderte von Artikeln über die Zukunft der Kernenergie.
Einige davon waren euphorisch, zum Beispiel "Russland baut demnächst
Die Statistiken über die Verteilung von Atomkraftwerken in Betrieb und in Bau sprechen eine eindeutige Sprache: Atomkraft hat im Konkurrenzkampf mit anderen Energieträgern keine Zukunftschancen mehr. Der Ausbau der Atomkraft war seit jeher ein gigantisches Luftschloss. Die OECD prognostizierte 1977: Im Jahre 2000 werden bis zu 1.400 Gigawatt weltweit am Netz sein. Tatsächlich waren es 300 Gigawatt, also nicht viel mehr als ein Fünftel.