Atomenergie in Zukunft immer ein Thema in der EU
Die europäischen Länder vertreten in dieser Hinsicht sehr unterschiedliche Standpunkte
Österreich
Atomenergie ist in Österreich seit einem Vierteljahrhundert durch das Atomsperrgesetz verboten. Bei der jüngsten Eurobarometer- Umfrage
lehnten 88 Prozent die Kernkraft ab, nur acht Prozent äußerten sich positiv.
"Wir müssen die Biomasse massiv forcieren", gab VP-Umweltminister Josef Pröll nach dem Höhepunkt des Gas-Streits zwischen
Russland und der Ukraine erneut die Parole aus. Damit wird der Atomkraft eine klare Absage erteilt.
Auch Bundeskanzler Schüssel bekräftigte am 22. März in Wien, dass Österreich keine AKW wolle.
Tschechien
Kurz nachdem sich zu Jahresbeginn die Abhängigkeit Europas vom russischen Gas gezeigt hatte, schlug
Tschechien einen neuen Weg in der Energiepolitik ein. Die Weiterentwicklung nuklearer Energieformen sei
ein "Weg in eine vernünftige Richtung", sagte Premier Jiri Paroubek.
Am häufigsten ist in diesem Zusammenhang von einem Ausbau Temelins die Rede.
Niederlande
Mit Klimaschutzzielen und Kostenersparnissen argumentierte in den Niederlanden der Staatssekretär im
Umweltministerium Pieter van Geel, als er im Februar den Bau eines zweiten Kernkraftwerks als "sehr
ernsthafte Option" bezeichnete.
Litauen
Es gibt eine starke politische Lobby in Litauen, die für die Errichtung eines modernen Kernkraftwerkes
kämpft. Vor allem konservative Kräfte fürchten eine Abhängigkeit von Russland nach der Eskalation des Gas-Streits.
Estland, Lettland und Litauen beginnen Gespräche über ein gemeinsames Atom - Kraftwerk.
Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen machen nun Ernst mit ihrem Vorhaben, gemeinsam ein
neues Atom - Kraftwerk (AKW) zu bauen. In Riga werden Experten der drei staatlichen Energiekonzerne (Lietuvos
Energija, Latvenenergo und Eesti Energia) zu einem "Kick-Off-Meeting" zusammentreffen.
Gebildet werden vier Arbeitsgruppen, die technische, rechtliche und finanzielle Fragen klären sollen.
Schon Ende Februar 2006 unterzeichneten die Regierungschefs der drei Staaten eine Absichtserklärung. Als möglicher Standort wurde Ignalina ins Auge gefasst - also jener ostlitauische Ort, wo bereits ein AKW sowjetischer Bauart läuft. Einer der beiden Kraftwerksblöcke wurde im Vorjahr stillgelegt, der zweite soll laut EU-Plan bis 2009 vom Netz genommen werden. Im neuen EU-Budget ab 2007 sind dafür 865 Mill. Euro vorgesehen. Bisher flossen 285 Mill. Euro in die Schließung des AKW Ignalina.
Die EU-Kommission ist mit den baltischen Atom-Plänen nicht glücklich. EU-Energiekommissar Andris Piebalgs - pikanterweise ein Lette - sagte, vor einer Entscheidung sollten verstärkt alternative Energie-Lösungen geprüft werden. Zudem solle vorher eine gemeinsame Energie-Strategie und ein gemeinsames Elektrizitätssystem geschaffen werden.
Für die baltischen Staaten ist die Energieversorgung brisant: Derzeit kommen drei Viertel des litauischen Stroms aus Ignalina. Ohne Alternativen befürchten sie, in starke Abhängigkeit von Russland zu geraten. Vor allem in Litauen kämpft eine mächtige Lobby für die Beibehaltung der Atomenergie. In Lettland und Estland sieht man das Projekt eher mit gemischten Gefühlen, etwa weil die Endlagerung des Atommülls ungeklärt ist.
Großbritannien
In Großbritannien, wo bereits 22 Reaktoren stillgelegt wurden, aber 23 noch in Betrieb sind, stellte
Premier Tony Blair im November den Bau eines neuen Meilers zur Debatte. Und das, obwohl seine Labour-Partei
traditionell gegen die Atomkraft ist. Eine Entscheidung darüber soll heuer im Frühsommer fallen.
Frankreich
Frankreich besitzt mit 59 Reaktoren an 20 Standorten die meisten AKW in der EU und will satte 78 Prozent
seiner gesamten Stromproduktion damit erzeugt. Einige Reaktoren sind veraltet und müssen ersetzt werden.
"Wir müssen unseren Vorsprung im Atombereich halten", meinte Staatspräsident Jacques Chirac.
Belgien
Die Regierung hat den Willen zum Ausstieg aus der Kernkraft bekräftigt, einen konkreten Fahrplan gibt es jedoch
noch nicht.
Italien
Nach einer Volksabstimmung 1987 wurde in Italien beschlossen, auf Atomstrom zu verzichten. Fachleute warnen
allerdings, das Land sei zu stark von Stromimporten abhängig. 2003 war es zu einem mehrstündigen landesweiten
Stromausfall in Italien gekommen.
Deutschland
Der CSU- Wirtschaftsminister Michael Glos sorgte kürzlich für Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionspartnern - er
hielt ein Plädoyer für die Kernenergie. Von der rot-grünen Vorgängerregierung ist der Atomausstieg bis
etwa 2021 beschlossen worden.
Ungarn
Noch vor Schweden hat Ungarn mit 65 Prozent die meisten Kernkraftbefürworter in der EU:
Im vergangenen November stimmte eine breite Parlamentsmehrheit für die Verlängerung der Laufzeit des einzigen
Kernkraftwerks um 20 Jahre. Dessen Block 2 musste nach einem schweren Störfall, bei dem im April 2003 radioaktives
Gas austrat, schon einmal abgeschaltet werden.
Spanien
Die Regierung kündigte im Vorjahr an, den Anteil der Atomenergie an der Stromproduktion zu senken. "Das
Ziel ist, Nuklearenergie schrittweise durch andere Energiequellen zu ersetzen, so dass sie 2011
etwa 16,8 Prozent der Stromproduktion liefert", sagte Industrieminister Jose Montilla damals. Zu diesem
Zeitpunkt betrug der Anteil 22,8 Prozent.
Polen
Polen verfügt bisher über keine Kernkraftwerke. Der Bau der ersten Anlage wurde Ende der 80er Jahre
nach starken Protesten aufgegeben. Seit einiger Zeit wird aber die Debatte über die Notwendigkeit von
Investitionen in Kernenergie immer lauter.
Rumänien
Neben Finnland baut als einziger weiterer Staat in Europa nur Rumänien an einem Kernkraftwerk. Es handelt
sich um einen zweiten Reaktor in Cernavoda, der 2007 fertig sein soll.