Der Kampf gegen die Windmühlen hat erst begonnen
Quelle: Die Presse vom 31.5.2011
Deutschland nimmt seine AKW voreilig vom Netz. Nötige Ausbauprojekte müssen realisiert und Umweltschützer davor bewahrt werden, sich selbst ein Bein zu stellen.
Es war Ehrensache, dass Österreich nach dem deutschen Atomausstieg als einer der ersten Gratulanten vorstellig wurde. Seit Jahren gefällt sich das Land als Europas Einpeitscher gegen die Atomkraft - ganz egal, wie viele Fernseher hierzulande ohne Energie aus Atomkraftwerken schwarz blieben. Im Rest Europas stieß Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel mit ihrer Ankündigung, spätestens 2022 den letzten deutschen Meiler vom Netz nehmen zu wollen, auf weniger Gegenliebe. Die Atomländer Frankreich und Großbritannien geißelten die deutsche "Hysterie".
Tatsächlich wirkt der Ausstieg überhastet. Die Warnungen der deutschen Netzbetreiber vor Stromausfällen in halb Europa wurden mit einem Schulterzucken weggewischt. Selbst Brüssel zeigte sich besorgt darüber, was der Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg für den deutschen Staatshaushalt bedeute. Hunderte "grüne" Kraftwerke und tausende Kilometer Übertragungsleitungen müssen gebaut und vor allem finanziert werden.
Und dabei können noch nicht einmal die Umweltschützer ihren "Sieg über die Atomindustrie" so richtig auskosten. Denn einerseits wird die geforderte Energiewende in Deutschland noch auf sich warten lassen. Bis ausreichend Windräder gebaut und Leitungen verlegt sind, um die Leistung der AKW zu kompensieren, müsste das Land mehr als einen kalten Winter überstehen. Stattdessen wird Deutschland vorerst wohl Milliarden in die Hand nehmen, um Gas- und Kohlekraftwerke zu bauen. Damit wird das Land künftig weit über 60 Prozent seines Stroms aus fossilen Energieträgern beziehen.
Eine Hiobsbotschaft für jeden Klimaschützer. Und das just an dem Tag, an dem die Internationale Energieagentur sie mit neuen Rekordwerten beim Ausstoß von Kohlendioxid für 2010 verschrecken musste.
Auch andere Wege, die Stromlücke kurzfristig zu schließen, sind wenig verlockend. Schon heute ersetzt Deutschland jene acht Kernkraftwerke, die bereits vom Netz genommen wurden, durch Importe aus den nuklearen Bollwerken Frankreich und Tschechien. Spätestens an diesem Punkt wird die Debatte für Österreich wirklich interessant. Denn auch die Alpenrepublik kommt schon seit zehn Jahren nicht mehr ohne Stromimporte von seinem größten Lieferanten Deutschland aus. An manchen Tagen könnte es damit künftig knapp werden, warnen deutsche Netzbetreiber.
Bald sollen all diese Probleme freilich ausgeräumt sein. Denn verkauft wird der Ausstieg aus der Atomkraft als Startschuss für eine grüne Energiewende, an der früher oder später ohnedies kein Weg vorbeigeführt hätte. Die Grünstromproduzenten dürfen sich zweifellos auf einen weiteren Geldregen freuen. Für alle anderen ist das allerdings noch kein Grund zum Jubeln. Denn auch Windräder, Staudämme und Flusskraftwerke teilen ein Problem mit den AKW: Sie müssen gebaut werden. Daran, dass das ohnedies nur geschieht, weil der Staat Milliarden in die Hand nimmt und die jungen, meist nicht marktfähigen Technologien finanziert, hat man sich in Europa gewöhnt.
Doch wenn die Bevölkerung schon bereit ist, diesen Preis für den raschen Umstieg auf eine saubere Energieversorgung zu zahlen, sollte dafür gesorgt sein, dass die Windräder, Staudämme und Flusskraftwerke auch gebaut werden dürfen. Doch genau hier laufen Umweltschützer Gefahr, sich selbst ein Bein zu stellen. Kaum haben sie die Atomkraft in Deutschland niedergerungen, geht für viele der Kampf gegen die Windmühlen erst so richtig los. In der Nordsee gilt es Vögel vor dem Anblick von Windrädern zu schützen, in den Flüssen müssen Fische bewahrt werden.
Wer dann noch Zeit findet, besetzt den eigenen Vorgarten und demonstriert gegen den Bau von Hochspannungsleitungen, ohne die der saubere Strom aus dem Norden und Süden den Weg zu den Verbrauchern leider nicht finden wird.
Deutschland begegnet dem Problem mit dem "Netzbeschleunigungsgesetz", das Bezirkskaisern und Blockierern die Chance nehmen soll, nötige Ausbauprojekte ewig zu verschleppen. Es wäre schön, würde es auch diese Idee über die Grenze schaffen.