Kanada: Die Ölsand-Industrie tritt auf die Bremse
Die fallenden Ölpreise stellen die Rentabilität der teuren Ölgewinnung aus Teersand in Frage.
Auch wird zunehmend Kritik von Umweltschützern am „schmutzigen Öl“ laut. Jetzt wackeln tausende Jobs.
Noch vor wenigen Monaten war der Ruf von Umweltschützern ungehört verhallt, beim Ausbau der Ölsandindustrie auf die Bremse zu treten. Jetzt hat sich das Blatt gewendet, aber aus anderen Gründen: Der Verfall des Ölpreises und die Finanzkrise zwingen die Industrie, Milliardeninvestitionen zu kürzen oder zu verschieben. Noch im Sommer litt die kanadische „Öl-Provinz“ Alberta unter einem Mangel an Arbeitskräften. Jetzt könnten bald tausende Arbeitsplätze verloren gehen.
Die Ölindustrie war bisher ein Antriebsmotor für Albertas und Kanadas Wirtschaft. Nun schrumpft der Haushaltsüberschuss, das Wirtschaftswachstum wird heuer nur noch bei 0,3 Prozent liegen, der niedrigste Zuwachs seit 1986. „Der Kollaps der Energiepreise hat in kurzer Zeit den Dampf aus dem Energiesektor genommen“, urteilt Robert Kavcic von BMO Capital Markets in Toronto. „Zusammen mit den engen Kreditbedingungen und immer noch hohen Kosten hat dies die Geschwindigkeit bei der Entwicklung neuer Projekte verlangsamt.“
Ölsand ist ein Gemisch aus Sand, Ton und teerartigem Bitumen. Die abbaubaren Ölreserven in Alberta werden auf 173 Mrd. Barrel (je 159 Liter) geschätzt. Kanada verfügt nach Saudi-Arabien (260 Mrd. Barrel) über die zweitgrößten Ölreserven. Das zähflüssige Bitumen wird in teuren Prozessen aus dem Sand gelöst. Ölsand wird entweder im Tagebau abgebaut, um danach das Bitumen mit heißem Wasser vom Sand zu trennen, oder Bitumen wird „in situ“ gewonnen: Dabei wird heißer Dampf in den Boden gepumpt und flüssiges Bitumen abgesaugt.
Nur bei hohem Ölpreis rentabel
Laut Andrew Potter von UBS Securities Canada brauchen Ölsandminen einen Ölpreis von 100 US-Dollar, um ökonomisch zu sein, während die auf Dampfinjektion basierenden Verfahren einen Preis von 70 bis 80 Dollar erfordern. Noch vor wenigen Jahren lag die Rentabilitätsgrenze bei 50 Dollar. Zum Vergleich: Rohöl der US-Sorte WTI wurde zuletzt um 46 Dollar gehandelt.
Das von Premier Stephen Harper zur künftigen „Energie-Supermacht“ ernannte Land muss seine Prognosen bei der Ölförderung zurückschrauben. Kanada erzeugt täglich 2,75 Mio. Barrel Rohöl, davon 1,2 Mio. aus Ölsand, der Rest aus konventionellen Quellen. 2020 sollten es nach einem im Sommer vorgelegten Modell 4,5 Mio. Barrel sein, davon 3,5 Mio. aus Ölsand. „Wir werden das Ziel nicht erreichen“, meint Richard Wyman, Vizepräsident von Canaccord Adams in Calgary. „Wir können froh sein, wenn wir auf zwei bis 2,5 Mio. Barrel kommen.“
Schon im Sommer zeigte sich, dass die Ölsandindustrie langsamer ausgebaut wird. Zwar stellte der damals hohe Ölpreis (über 140 Dollar) einen Investitionsanreiz dar, doch liefen den Konzernen die Kosten davon, sodass sie anfingen, Projekte zu strecken. Der Verfall des Ölpreises hat den Trend beschleunigt. Jüngstes Beispiel ist Petro Canada. Der Konzern plante bei Fort-Hills eine neue Ölsandmine. Kostenpunkt: 18,8 Mrd. kanadische Dollar (10,91 Mrd. Euro). Als der Ölpreis in den Keller ging, zog man die Notbremse: Die Entscheidung über den Bau der Mine wurde um ein Jahr verschoben. Bis vor kurzem hatten die Ölkonzerne insgesamt noch Investitionen von 125 Mrd. Dollar bis 2015 geplant. Inzwischen wurden laut der kanadischen „Financial Post“ Projekte im Wert von 40 Mrd. Dollar verschoben.
Kritik von Umweltschützern und USA
Ungemach droht der Ölsandindustrie auch von anderer Seite. Für Umweltschützer ist Öl aus Ölsand wegen der CO2-Emissionen und der giftigen Klärschlammteiche „schmutziges Öl“. Bürgermeister US-amerikanischer Städte verabschiedeten im Sommer eine Resolution, in der Städte aufgefordert werden, kommunale Fahrzeuge nicht mit Sprit aus Ölsand zu betanken. Alberta aber lebt von den Ölexporten in die USA: Kanada ist größter Energielieferant der USA.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2009)