Schweden: Abschied vom Erdöl
Bis 2020 will Schweden von Fossilenergie fast unabhängig sein.
Kein Ölpreisschock mehr, kein CO2-Ausstoß aus Fabrikschloten und Straßenverkehr.
Jetzt schon ist Schweden Pionier im Autoverkehr. Nirgends sonst in Europa erobern "Flexi-Fuel-Autos" so rasch Marktanteile. Das sind Autos, die sowohl mit herkömmlichem Benzin betrieben werden können, als auch mit dem Alternativbrennstoff E 85, einer Mischung aus 85 Prozent Ethanol und 15 Prozent Benzin. Ford hat als erster einen Prototyp dafür entwickelt, inzwischen sind auch Volvo und Saab mit Flexi-Fuel-Modellen auf dem Markt - und sie sind ein Verkaufserfolg. 30.000 dieser Autos rollen über die schwedischen Straßen. Allein im März wurden 3834 "Umweltautos" zugelassen, das sind 15 Prozent aller Neuzulassungen.
Dazu hat sicher beigetragen, dass in Stockholm ein Versuch mit Straßenmaut läuft, von der Umweltautos befreit sind. Sie zahlen auch keine Parkgebühr, wo die Halter herkömmlicher Autos blechen müssen, und der Biosprit ist steuerbegünstigt. Macht pro Liter einen Unterschied von vier Kronen (42 Cent) zum Superbenzin.
Doch nicht nur im Straßenverkehr will sich Schweden vom Erdöl unabhängig machen, und nicht nur dem Klima zuliebe. "Ein Schweden ohne fossile Brennstoffe verschont uns vor den enormen Preisschwankungen im Ölgeschäft", sagt Mona Sahlin, die Ministerin für nachhaltige Entwicklung. "Wir profitieren schon jetzt davon, dass wir weniger ölabhängig sind als die meisten anderen Länder." Die Beheizung mit Öl ist seit 1973 um 70 Prozent zurückgegangen, der Verbrauch der Industrie liegt etwa auf dem Niveau von 1994, obwohl die Produktion seither um 70 Prozent gestiegen ist.
Das verdankt Schweden seinem günstigen Energiemix. Statt mit Petroleum wärmt man die Häuser inzwischen mit Strom oder Fernheizung. Die Fernwärmeversorgung beruht mehrheitlich auf Biomasse. Diese wird großteils mit Abfällen der Holz- und Zellstoffindustrie gespeist. Die Industrie gab anfangs der siebziger Jahre pro Krone Produktionswert noch zwölf Öre für die Ölrechnung aus, jetzt sind es nicht mal mehr zwei. Wichtigste Energieform ist Elektrizität, und diese wird zur Hälfte aus Atomkraft und zu 40 Prozent aus Wasserkraft gewonnen.
Dem Ziel, vom Erdöl unabhängig zu werden, muss Schweden allerdings den Ausstieg aus der Atomkraft opfern. Zwar verordnete schon 1980 ein
Referendum ein Ende des Atomzeitalters bis 2015, doch die politischen Prioritäten sind inzwischen andere. Mit zehn Meilern zählt Schweden zu den
Ländern mit der höchsten Atomstromproduktion. Die bürgerliche Opposition, die auf einen Wahlsieg im September hofft, ist auch dem Bau
neuer AKWs nicht abgeneigt. Die Sozialdemokraten bekennen sich zwar prinzipiell zum Verzicht auf Kernenergie - aber nur, wenn dies ohne
negative Folgen für Produktion, Arbeitsmarkt und Wohlfahrt geschehen kann. Gleichzeitig mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen wird dies
nicht realisierbar sein, weiß auch die Regierung.
Quelle: diepresse v. 18.4.2006