Experten warnen vor Lücken in der Stromversorgung ab 2012
Quelle: Märkische Allgemeine v. 26.3.2008
Bisher gingen die Lichter niemals aus
Mit zwei Unglücken am selben Tag hatte wohl niemand gerechnet:
Am 28. Juni vergangenen Jahres sorgt zunächst im Atomkraftwerk Brunsbüttel ein Kurzschluss in einer Schaltanlage für eine vorübergehende, vier
Wochen später für die dauerhafte Abschaltung des Reaktors an der Elbmündung. Stunden später muss dann wegen einer brennenden
Trafostation auch das gut 100 Kilometer entfernte Atomkraftwerk Krümmel (beide Schleswig-Holstein) vom Stromnetz getrennt werden.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch weder in Hamburg noch in anderen Teilen Norddeutschlands sind seitdem die Lichter ausgegangen.
„Das ist so, weil erhebliche Kapazitäten im europäischen Stromnetz vorhanden sind“, erklärt Christoph Weber, Professor für
Energiewirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Über eine Kooperation von 34 Netzbetreibern in 22 europäischen
Ländern werden Stromspitzen ausgetauscht.
So exportieren deutsche Versorger nachts Überproduktionen in die Schweiz und nach
Österreich. Die beiden Alpenländer wiederum speisen ihre Spitzen, die meist aus Wasserkraft stammen, um die Mittagszeit in das
deutsche Netz ein, erklärt der Fachmann. Derart wird auch der Ausfall der beiden Reaktoren kompensiert.
Trotz der abgeschalteten Atomkraftwerke werde es daher keine Versorgungsschwierigkeiten geben, ist sich Weber sicher. „Wenn im Sommer der Kühlwasserbedarf für die Kraftwerke steigt, zugleich eine Hitzeperiode eintritt, dadurch der Strombedarf durch die Klimaanlagen zunimmt und Kraftwerke für Wartungen abgeschaltet werden, dann könnte es zu Schwankungen im Stromnetz kommen“, sagte Weber gegenüber der MAZ.
Dieses bislang eher unwahrscheinliche Szenario denken nun aber Experten der bundeseigenen Deutschen Energieagentur (Dena) weiter. Vor einer „Stromlücke“ warnen sie in einer jüngst veröffentlichten Studie. Sollten die Atomkraftwerke wie von der Bundesregierung geplant schrittweise abgeschaltet und keine neuen Kraftwerke – etwa auf Kohlebasis – gebaut werden, könnte es „ab 2012 nicht mehr genügend gesicherte Kraftwerksleistung“ in Spitzenzeiten geben.
Von 2020 ab könnte sich das Problem durch stetig steigenden Verbrauch noch verschärfen. Dann würde hierzulande eine Lücke im Stromangebot entstehen in einer Größenordnung, wie sie heute von 15 Großkraftwerken gedeckt wird. Steigende Strompreise wären die Folge. Einen Ausweg sieht die Studie zunächst im Verlängern der Laufzeiten aller Kraftwerkstypen.
Strikt dagegen ist der Energieexperte von Greenpeace: „Sollte die Energieversorgung einbrechen“, so Thomas Breuer, „dann nur, weil die Kraftwerksbetreiber am längeren Hebel sitzen und die Probleme selbst herbeiführen.“ Doch ist er nicht generell gegen Neubauten. Aber riesige Kohlekraftwerke, wie in Hamburg-Moorburg geplant, sind für ihn keine Lösung. „Es sollte viele kleine Gaskraftwerke geben“, sagt Breuer.
MIT EINEM ANTEIL VON 24,5 PROZENT LIEGT DIE BRAUNKOHLE AN ERSTER STELLE:
- Ob Atom, Kohle oder Gas, Wind- oder Wasserkraft - alle deutschen Kraftwerke zusammengenommen haben in den vergangenen Jahren mehr Energie erzeugt, als hierzulande verbraucht wurde.
- Die Energiespitzen wurden über das Verbundnetz UCTE in andere europäische Länder exportiert. Nach vorläufigen Schätzungen wurden 2007 19 Milliarden Kilowattstunden ins Ausland verkauft, im Jahr zuvor waren es 19,8 Milliarden.
- Der Stromverbrauch ist seit Mitte der 1990er Jahre leicht, aber kontinuierlich gestiegen. Waren es 1990 noch 550 Milliarden Kilowattstunden, wurden 2007 rund 617,5 Milliarden Kilowattstunden Strom in Deutschland verbraucht.
- Mit einem Anteil von 24,5 Prozent waren die größten Energieerzeuger 2007 die Braunkohlekraftwerke, gefolgt von Steinkohlekraftwerken mit 22,8 Prozent. An dritter Stelle stehen die Atommeiler, die 22,1 Prozent der Energie lieferten. Zu fast zwölf Prozent deckt das Erdgas den Energiebedarf im Land. Windkraftanlagen sind seit der Jahrtausendwende auf dem Vormarsch: Sie decken 6,2 Prozent des Verbrauchs. Alle erneuerbaren Energieträger zusammen haben mittlerweile einen Anteil von 14,1 Prozent am Stromverbrauch.
- 15 neue Kraftwerke werden derzeit gebaut. Sechs bisher nur geplante Werke werden mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls errichtet, schätzt die Deutsche Energieagentur (Dena). Weitere 60 geplante Kraftwerksbauten hätten jedoch kaum Chancen auf Vollendung. Neben zu hohen Kosten sei vor allem die fehlende Akzeptanz in der Öffentlichkeit der Grund dafür.
(Von Steffen Schulze)