Der deutsche Atomstrom-Konzern EnBW ist bei Niederösterreichs Energieversorger EVN eingestiegen

Jetzt tobt in Österreichs E-Wirtschaft ein Kampf der europäischen Atomstrom-Giganten

Die Aktion war in aller Diskretion und bis ins kleinste Detail geplant worden. Am Dienstag der Vorwoche war es so weit. In den frühen Morgenstunden klemmten sich die Aktienhändler der kleinen Wiener Centro Handelsbank hinter die Telefone, um der Reihe nach ihre Kollegen bei Banken und Brokern durchzurufen. "Habt ihr", so die wiederholt gestellte Frage, "EVN-Aktien zu verkaufen?" Die Angerufenen hatten. Binnen weniger Stunden wechselten nicht weniger als 1,9 Millionen der insgesamt 37,58 Millionen EVN-Aktien den Besitzer.

Der Megadeal blieb nicht ohne Folgen. Der Kurs der bislang reichlich unauffälligen EVN-Papiere stieg bis zum Handelsschluss um 4,2 Prozent auf 44 Euro.

Die umtriebigen Centro-Händler durften sich bei ihrer Mission auf ein ungeschriebenes Gesetz ihrer Branche verlassen: keine Fragen. Und so wurde in den Tagen darauf am Wiener Börsenparkett heftig gerätselt: Wer steckt hinter dem geheimnisvollen Kauf von gut fünf Prozent der EVN-Anteile?

Dem Geheimnis auf den Grund zu gehen war alles andere als einfach. Denn der mysteriöse Käufer hatte die Aktien raffinierterweise über mehrere Gesellschaften aufkaufen lassen - um die strengen österreichischen Meldepflichten vorübergehend zu umgehen. Sie verpflichten Investoren, die mindestens fünf Prozent einer börsenotierten Gesellschaft erwerben, die Bundeswertpapieraufsicht zu informieren.

Was weder die Auftraggeber noch ihre Helfer wissen konnten: Nur wenige Tage zuvor, im entfernten Frankreich, waren österreichische Journalisten mit einer Aussage konfrontiert worden, die für sie zum damaligen Zeitpunkt keinen rechten Sinn ergeben wollte. Manager des französischen Atomstrom-Konzerns Eléctricité de France (EdF) hatten ihren Gästen anvertraut, dass es demnächst bei einem großen österreichischen Stromerzeuger "nouvelles extraordinaires" geben werde.

Was die Franzosen meinten: Die deutsche Energie Baden-Württemberg (EnBW), an der die EdF zu 34,5 Prozent beteiligt ist, breitet sich in Österreich aus. Und damit ist die Identität des geheimnisvollen EVN-Investors gelüftet.

Dem deutschen Konzern, dessen Stromaufkommen zu 41 Prozent auf Kernkraft basiert, ist es offenbar gelungen, in den vergangenen Monaten klammheimlich Zug um Zug beträchtliche EVN-Pakete über die Börse aufzukaufen. Seit dem Dienstagcoup soll EnBW nicht weniger als zehn Prozent am niederösterreichischen Energieversorger halten.

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Spielwiese

So ist ausgerechnet Österreich, das sich seit Jahrzehnten in der "Atomstrom, nein danke"-Idylle sonnte, endgültig zur Spielwiese ausländischer Atomstrom-Giganten geworden.
Bereits 1997 hatte sich die EnBW-Großaktionärin EdF zu 25,1 Prozent bei der Energie Steiermark eingekauft und damit eine Sperrminorität gesichert.

Im Mai dieses Jahres sorgte die Übernahme von 49 Prozent an der Kärntner Elektrizitäts-Holding durch den gleichfalls stark im Atomenergie-Geschäft tätigen deutschen RWE-Konzern für Aufsehen.

Im Juli darauf ließ wiederum die Verbundgesellschaft mit einem spektakulären Deal aufhorchen: die Bündelung aller Wasserkraftaktivitäten mit dem deutschen Kernenergie-Giganten E.ON.

Was E.ON-Konkurrenten EnBW wiederum nicht daran hinderte, nur zwei Monate später in Verbund-Aktien zu investieren. Innerhalb weniger Tage stockte die EnBW ihren Verbund-Anteil von 4,9 auf 6,33 Prozent auf. Die einst angestrebte Konstruktion eines wettbewerbsfähigen Stromkonzerns in österreichischer Hand ist somit endgültig Geschichte. Persönliche Animositäten der handelnden Manager, maßlos überzogene Eitelkeit und schamlose politische Rankünen haben die Begehrlichkeiten ausländischer Konzerne geweckt - und schließlich auch befriedigt.

Mehr noch: Ausgerechnet Österreichs machtbewusste Strombosse spielen im eigenen Revier nur mehr eine untergeordnete Rolle. In dem seit Oktober liberalisierten österreichischen Strommarkt haben längst die Franzosen und die Deutschen das Sagen. EdF und EnBW in der Steiermark und neuerdings auch in Niederösterreich, die RWE in Kärnten.

Und demnächst dürfte es noch dicker kommen. Das Konsortium aus Verbund, Energie AG Oberösterreich (EAG) und der Energie Steiermark AG (EstAG), das im Jahr 2000 um teures Geld (51 Euro je EVN-Aktie gegenüber 44 Euro heute) gemeinsam 27 Prozent der EVN-Aktien erworben hatte, will diese strategisch nicht sinnvolle Akquisition rückgängig machen. Um ein konsortiales Vorgehen zu gewährleisten, wurde damals ein Syndikatsvertrag geschlossen, der per Ende 2002 gekündigt werden kann. Doch die drei Partner sind bereits jetzt heftig am sondieren. So hat die Verbundgesellschaft ihr 14-prozentiges EVN-Aktienpaket bereits im Juni bei einer Bank deponiert. Es handelt sich um die Bayerische Landesbank in München.
Und: Spätestens im Jänner 2003 soll dieses Paket ausgerechnet von der E.ON übernommen werden. Verbund-Boss Hans Haider: "Ich kann nur bestätigen, dass wir einen bedingten Verkauf gemacht haben." Ausschließen will er allerdings nicht, dass E.ON die Aktien erwerben wird.

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Zwei Rivalen

Eine mehr als pikante Situation für die EVN. Sie hätte dann nämlich zwei verfeindete europäische Konzerne als Großaktionäre: die EdF/EnBW-Gruppe auf der einen Seite, den E.ON-Konzern auf der anderen. Haider abwehrend: "Wir können bis 31. Dezember 2002 über die EVN-Aktien verfügen. Was danach geschieht, kann und darf ich nicht sagen."

Spannung verspricht auch der bereits fixierte Rückzug der oberösterreichischen EAG und der steirischen EStAG aus der EVN. Die beiden Landesversorger halten jeweils noch knapp mehr als sechs Prozent am niederösterreichischen Stromversorger.

Herbert Paierl, als Wirtschaftslandesrat des Landes Steiermark für die EStAG zuständig: "Nachdem die große österreichische Stromlösung gestorben ist, macht das EVN-Engagement keinen Sinn mehr." Wer die Aktien bekommen soll, will Paierl zwar nicht wissen. Dass der EStAG-Großaktionär EdF die besten Karten hat, streitet er allerdings nicht ab. Damit hätte EnBW/EdF bereits mehr als 16 Prozent der EVN-Anteile.

Etwas vertrackter dagegen die Lage der Oberösterreicher. Die EAG will zwar nach Aussage ihres Sprechers Christoph Grubich "so rasch wie möglich aus der EVN raus", weil die Beteiligung auch für sie "strategisch keinen Sinn mehr macht. Und wir nicht Gefahr laufen wollen, auf den Aktien sitzen zu bleiben."

Nur: In Oberösterreich herrscht nicht zuletzt aufgrund der Temelin-Bedrohung akute Nuklearpanik. Ein Verkauf der EVN-Aktien an einen Atomstrom-Erzeuger wäre politisch nicht opportun. Grubich: "Das kommt für uns nicht infrage." Damit wären sowohl E.ON als auch EdF/EnBW aus dem Rennen. Zumal die EAG selbst mitten im Privatisierungsprozess steckt. Das Land Oberösterreich wird demnächst 25,1 Prozent seiner Anteile an das Konsortium Energie Allianz rund um die EVN verkaufen. Klar ist, dass die Oberösterreicher den künftigen Partner EVN mit einem überstürzten Aktiendeal nicht vergraulen wollen.

Bis Freitag der Vorwoche standen daher zwei österreichische Varianten zur Diskussion: Das Land Niederösterreich, mit 51 Prozent Hauptaktionär der EVN, übernimmt auch das sechsprozentige EVN-Paket der Oberösterreicher für insgesamt 1,7 Milliarden Schilling. Eine mit 30. November gesetzte Deadline ließen die Niederösterreicher aber verstreichen - wegen strittiger Vertragspunkte. Die Alternative: Die Raiffeisenlandesbank Oberösterreich (RLB) springt als Käufer ein. EAG-Sprecher Grubich: "Die RLB ist interessiert. Wir würden uns nicht dagegen sperren." Das weitere Schicksal der in Oberösterreich geparkten EVN-Aktien wäre dann erst recht ungewiss. Der ertragsbewusste RLB-Chef Ludwig Scharinger sieht die Atomstrom-Debatte eher emotionslos.