Energie: Dreckiger Strom aus dem Stausee
Quelle: Schweizer Fernsehen v. 24.10.2006

Wasserkraft ist Inbegriff für saubere Energie

Doch einige (Atom)-Kraftwerke produzieren mehr Energie als die angeschlossenen Verbraucher benötigen.
Wohin also mit dem überschüssigen Strom?
Die Lösung: Pumpspeicherkraftwerke, diese pumpen in der Nacht mit ausländischem (Atom)-Strom Wasser in die Speicherseen. Und dieser Strom verschmutzt unser sauberes Öko-Quellwasser.

In den Prospekten der Stromwirtschaft prangen romantische Bilder von Wasserfällen, Flüssen und Bergbächen. Strom aus Wasserkraft - die Schweiz ist stolz auf ihre grossen Ressourcen dieser sauberen Energie. Über 500 Wasserkraftwerke produzieren 35 Milliarden Kilowatt Stunden Strom. Das deckt rund Zweidrittel der schweizerischen Stromproduktion . "Wasserkraft ist frei von Schadstoffen und hat vergleichsweise geringe Einwirkungen auf die Umwelt", sagt Gianni Biasutti, Direktor der Kraftwerke Oberhasli.

Wasserkraft

Stauseen haben einen entscheidenden Vorteil: Sie können Strom genau dann liefern, wenn er benötigt wird. Der Preis für Strom ändert alle paar Minuten. Er kann von wenigen Rappen pro Kilowattstunde auf bis zu fünfzig Rappen zu Spitzenzeiten klettern. Vor allem der Verkauf der Schweizer Wasserkraft ins Ausland ist für die Stromwirtschaft ein Riesenschäft: Im letzten Jahr verdienten die Schweizer Energiewerke mit dem Stromhandel über eine Milliarde Franken. Das Geschäft mit dem Spitzenstrom läuft so gut, dass es sich auch lohnt, Wasser in der Nacht wieder in die Stauseen hochzupumpen. Dies, obwohl die Pumpen mehr Energie verbauchen, als das hochgepumpte Wasser nachher produziert. Der Grund: Hochgepumpt wird mit billigem Nachtstrom. Und weil der hernach erzeugte Spitzenstrom viel mehr einbringt als der billige Nachtstrom kostet, lohnt sich diese Energievernichtung. Der Pumpstrom stammt jedoch zu einem grossen Teil aus den grössten Dreckschleudern überhaupt, aus Kohlekraftwerken. Kohle ist billig und im Gegensatz zu Öl und Gas noch lange vorhanden. Kohlekraftwerke haben aber den Nachteil, dass sie rund um die Uhr produzieren müssen. Den billigen Kohlestrom kaufen die Pumpspeicherwerke für wenige Rappen pro Kilowattstunden, um in der Nacht Wasser zu pumpen.

Das hat Folgen: der dreckige Kohlestrom gelangt so auch in Schweizer Steckdosen. Gianni Biasutti, der zuvor von der geringen Umwelteinwirkung der Wasserkraft schwärmte, gibt zu: "Es ist richtig, dass Pumpspeicherwerken den Strom von Kohlekraftwerken abnehmen." Aber Kraftwerke jedwelcher Art würden dann am besten laufen, wenn sie konstant arbeiteten. Und diese Möglichkeit schafften eben diese Pumpspeicherwerke. Der Energieforscher Christian Bauer vom Paul Scherrer Institut hat für Kassensturz berechnet: Jede Kilowattstunde Strom ist mit 155 Gramm CO2 belastet. Letztes Jahr verbrauchten Schweizerinnen und Schweizer über 60 Milliarden Kilowattstunden Strom. "Im Jahr 2005 betrug der CO2-Ausstoss im Schweizer Stromverbauch knapp 10 Millionen Tonnen. Das ist fast gleich viel, wie der private Personenverkehr verursacht", sagt Christian Bauer.

Trotzdem setzen die Schweizer Kraftwerke weiter auf das Geschäft mit dem dreckigen Nachtstrom. Gesamtschweizerisch planen die Stromproduzenten Investionen von 4 Milliarden Franken. Die Kapazität der Pumpspeicherwerke soll auf 5000 Megawatt vervierfacht werden. Das grösste Pumpspeicherprojekt, das derzeit gebaut wird, ist Linth-Limmern. Der Energiekonzern Axpo will hier die Leistung von 450 auf 1200 Megawatt erhöhen. Linth-Limmern ist heute der wichtigsten Energieproduzent des Kantons Glarus. Nach dem Ausbau ist das Kraftwerk ein Stromverbaucher. Für den Energie-Experten und ehemaligen Greenpeace-Präsidenten Heini Glauser ist Pumpspeicherung Gewinnmaximierung auf Kosten der Umwelt: "Heute produziert Linth-Limern jährlich 400 Millionen Kilowattstunden Strom und versorgt damit mehr als den Kanton Glarus. Ist das Kraftwerk voll ausgebaut, dann wird Linth-Limmern zu einem Stromfresser, der die Hälfte von dem selber verbraucht, was heute der Kanton Glarus verbraucht", sagt Glauser.

Für Axpo-Konzernchef Heinz Karrer hingegen macht es Sinn, 200 Millionen Kilowattstunden Strom zu verbrauchen, wenn sich im Gegenzug die Leistung des Kraftwerks auf 1200 Megawatt erhöht. Der Grund: Die Schweiz brauche künftig mehr Strom. "Der Leistungsbedarf ist da. Und um diese Leistung zu installieren gibt es drei Möglichkeiten: Ein neues Speicherkraftwerk mit einem neuen Staudamm, was unrealistisch ist, Gas, das aber wiederum die CO2-Emissionen erhöht oder dann ein Pumpspeicherwerk", sagt Karrer. Eine total verkehrte Argumentation, findet Energie-Experte Glauser. Erstens würden, so Glauser, Pumpspeicherwerke den ohnehin schlechten Wirkungsgrad von thermischen Kraftwerken nochmals reduzieren. Und zweitens bestehe keinerlei Bedarf für zusätzliche Leistungen in der Schweiz. "Wir haben schon mit unseren Speicherseen ein unglaubliches Potential. Und davon exportieren wir jeden Mittag dreimal die Leistung von Gösgen. Im Gegegenzug importiert die Schweiz jenen Strom, der von Bandproduzenten geliefert wird", sagt Glauser.

Die saubere Schweizer Wasserkraft setzt immer mehr auf dreckigen Strom aus dem Ausland. Wenn alle Pumpspeicher-Projekte in 10 Jahren realisiert sind und unter Volllast laufen, verbrauchen sie jährlich rund 2,5 Milliarden Kilowattstunden. Das entspricht dem Jahresverbrauch von einer Million Menschen.


Kritik an Umetikettieren von Atomstrom zu Ökostrom

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Energie-Experten haben die legale Praxis kritisiert, Atom- oder Kohlestrom durch den Handel mit Ökozertifikaten in Ökostrom umzuetikettieren.
Als "reinen Verschiebebahnhof" bezeichnete Thorsten Kasper vom Verbraucherzentrale Bundesverband gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" das Vorgehen. Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes nannte es "eine Täuschung des Verbrauchers".

So hatten sich laut "Spiegel" erst kürzlich die Stadtwerke Kassel mit Hilfe der durch das Renewable Certificate System (RECS) gegebenen Möglichkeit zum Vorreiter für umweltgerechte Stromerzeugung erklärt. Über das RECS kann ein Stromversorger an der Börse etwa Strom des AKW Krümmel für sieben Cent je Kilowattstunde kaufen. Diesen könne er dann für weitere gerade einmal 0,05 Cent je Kilowattstunde mit einem Öko-Zertifikat eines norwegischen Wasserkraftwerks zu Ökostrom veredeln.

Der Betreiber des Wasserkraftwerks müsse die entsprechende Menge seines Ökostroms in konventionellen umetikettieren. Leprich sagte dem "Spiegel", ökologisch ausgerichtete Verbraucher sollten bei ihren Anbietern unbedingt nachfragen, welcher konkrete zusätzliche Umweltnutzen durch den Kauf des Ökostroms entstehe.