Kraftwerk der Aus-Schalter
von Karsten Schäfer, Technology Review 24/07/2006, Innovation
Wie man Strom intelligent speichern kann
„Wenn ich aus dem Fenster schaue, dann sehe ich da unten eine Vielzahl von Energiespeichern“, sagt Hans Schäfers beim Blick aus dem elften Stock der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Im Auge des Umwelttechnik-Ingenieurs: große Büro- und Fabrikgebäude, die elektrische Energie in Form von Wärme, Kälte oder Frischluft speichern können. Ebenso wird ein Herd nicht sofort kalt, wenn seine Platten abgeschaltet werden, und die Büro-Temperatur steigt nicht schlagartig an, wenn die Klimaanlage kurz aus ist.
Mit Insellösungen in Form so genannter Lastmanagementsysteme wird diese Tatsache von Großkunden längst genutzt, um teure Spitzen im Stromverbrauch zu vermeiden. Doch jetzt will die HAW drei ihrer Standorte mit 33 Gebäuden der Stadt Hamburg vernetzen – und so zum ersten reinen „Negawattkraftwerk“ Deutschlands werden.
Dahinter steckt ein physikalischer Nachteil des Stromnetzes: Es kann keine Energie speichern, die Versorger müssen deshalb stets genauso viel davon produzieren wie gerade gebraucht wird. Dafür müssen sie Reserve- Kapazitäten vorhalten oder teuer bei der Konkurrenz einkaufen. Beim Negawatt- Konzept geht man den umgekehrten Weg: Kraftwerke nach diesem Prinzip produzieren keinen zusätzlichen Strom, sondern sorgen dafür, dass er an anderer Stelle eingespart wird. Auch so lässt sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herstellen.
Mit der Bedienung von beiden Seiten der Strommarkt-Gleichung hat die Steag Saar Energie in Saarbrücken bereits im Jahr 2003 begonnen, Geld zu verdienen: Sie betreibt eigene Kraftwerke, kauft Strom von Partnern zu, die zum Beispiel über Notstromaggregate für den eigenen Bedarf verfügen – und steht in Verbindung mit einer Reihe von Großverbrauchern wie Zink- oder Chlorfabriken, die bereit sind, ab und zu auf etwas Stromzufuhr zu verzichten. Droht im Stromnetz eine Lastspitze, dann schalten die Partner ihre Kraftwerke ein oder die Fabriken aus, und Saar Energie verkauft den erzeugten oder eingesparten Strom an die vier großen Übertragungsnetzbetreiber E.on, EnBW, RWE und Vattenfall.
„Diese Abschaltideen sind eigentlich alt, aber seit der Liberalisierung kann man damit richtig Geld machen“, schwärmt Jörg Strese von Saar Energie, der das virtuelle Regelkraftwerk am Markt eingeführt hat. Was bisher nicht ging, war die Einbeziehung von vielen kleineren Verbrauchern, wie sie jetzt in Hamburg geplant ist. Das Projekt ist die logische Folge aus guten Erfahrungen, die die HAW vorher mit klassischem Lastmanagement gemacht hat. Es sorgt zum Beispiel dafür, dass in der Mensa nicht mehr alle Kochkessel gleichzeitig beheizt werden.
„Bevor wir das Energiemanagement eingeführt haben, hatten wir nur am Standort Berliner Tor Stromkosten von 1,6 Millionen Mark im Jahr“, erinnert sich Franz Schubert, Professor an der HAW. Schon im ersten Schritt fielen die Kosten auf weniger als ein Drittel, später kamen die HAW-Standorte City Nord und Bergedorf hinzu – erst einzeln und dann im Verbund über alle drei Standorte hinweg. So wurden nicht nur die Schwankungen im Stromverbrauch der Hochschulgebäude weiter reduziert, weil sie sich gegenseitig ausgleichen. Auch die Abschaltleistung erhöhte sich, weil noch mehr Stromverbraucher koordiniert und gleichzeitig vom Netz genommen werden können.
Allerdings sind die drei Standorte mit ihren rund 400 Kilowatt Abschaltleistung für Saar- Energie-Manager Strese allein noch nicht interessant genug. Da die Idee des vernetzten Lastmanagements aber sowieso eine große Zahl zusammengeschalteter Systeme ist, haben sich die Forscher schon früh nach einem Partner umgesehen. Bei der Stadt Hamburg wurden sie fündig – sie will jetzt 33 städtische Gebäude mit großen Lastspitzen im Stromverbrauch mit der HAW zusammenschalten. So dürften noch einmal vier bis fünf Megawatt Abschaltleistung zusammenkommen, die Strese dann gern weiterverkauft: „Die Hamburger bündeln uns das vor, wir schließen es hier an, und das kann von heute auf morgen richtig Geld verdienen.“