Das Elektro-Volksauto kommt aus Aachen
Quelle: Frankfurter Allgemeine vom 12.11.2010: Author Christoph Ruhkamp
Das Aachener Unternehmen Streetscooter will ein kleines Elektroauto für 5000 Euro anbieten. Die Batterie muss der Kunde für eine monatliche Gebühr dazu mieten.
Achim Kampker ist erst 34 Jahre alt. Damit dürfte er der mit Abstand jüngste Chef eines deutschen Automobilunternehmens sein - und wahrscheinlich gilt dieser Superlativ sogar für die gesamte Autobranche rund um den Globus. Zugegeben: Die von Kampker gegründete Streetscooter GmbH in Aachen hat noch fast gar nichts gemeinsam mit den großen Konzernen wie Volkswagen, Daimler oder BMW. Nicht ein einziges Auto hat die kleine Firma bisher produziert. Dennoch will Kampker vom kommenden Jahr an den großen Autoherstellern die Stirn bieten.
Der junge Mann leitet den Lehrstuhl für Produktionsmanagement an der renommierten Universität RWTH in Aachen. Zusammen mit einigen anderen Professoren anderer Fachrichtungen und rund zwei Dutzend Partner aus der überwiegend mittelständischen Industrie, darunter aber auch der Thyssen-Krupp-Konzern, hat er sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zum Frühling kommenden Jahres soll der Prototyp eines neuartigen Elektroautos entstehen.
Zugegeben: Auch das ist nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal. Allein in Deutschland gibt es neben den großen Konzernen noch mindestens drei Unternehmer, die in Kürze ein Elektroauto auf den Markt bringen wollen: Da ist der Essener Energiedienstleister Roman Dudenhausen, der im Sommer die Elektroautosparte des französischen Zulieferers Heuliez mit dem batteriebetriebenen Stadtflitzer „Mia“ übernahm; da ist der Porsche-Veredler Ruf aus dem Unterallgäu mit seinem Elektro-Sportwagen „eRuf“; und da sind die Gründer des Jenaer Unternehmens Innovative Mobility mit ihrem Elektro-Einsitzer namens „Kolibri“. Trotz der zahlreichen Konkurrenten ist Achim Kampker sicher, dass er sich eines Tages durchsetzen wird. Denn sein Elektroauto „Streetscooter“ soll ohne jeden Schnickschnack vor allem eines sein - bezahlbar.
Wir wollen ein bezahlbares, funktionierendes Elektroauto bauen - das trotzdem sicher und zuverlässig fährt“, sagt er. Letztlich soll der Streetscooter eines Tages in sechs Varianten gebaut werden - vom Pritschenwagen bis zum Cabrio. Der erste Wagen soll ein Dreisitzer werden, der Platz für drei Erwachsene und ein Kind bietet. Den Preis beziffert Kampker mit nur 5000 Euro - allerdings ohne die Batterie, die der Kunde für eine monatliche Gebühr mieten muss. Wie aber soll der niedrige Preis möglich sein, wo doch erfahrene Konkurrenten wie der japanische Hersteller Mitsubishi 34 000 Euro für ihr Elektroauto verlangen?
Viele Quereinsteiger aus dem Mittelstand sind am Projekt beteiligt.
Blättern
Zum Thema:
· Fiat elektrisiert den Cinquecento zuerst in Amerika
· Die Straßenlaterne wird zur Stromtankstelle
· Elektromobiliät: Alles hängt an der Batterie
· Nordrhein-Westfalen setzt auf Elektromobilität
· „Ganz ohne Förderung kommt kein Elektroauto“
„Die Lösung des ganzen Problems liegt in der Produktionstechnik“, sagt Kampker. Der Streetscooter werde modular, aus klar von einander getrennten Komponenten aufgebaut sein, die Partner aus dem Mittelstand liefern. Das werde die Kosten des Produktionsprozesses sehr niedrig halten: „Normalerweise gibt es in einer Autofabrik 100 Montagestationen, bei uns werden es nur noch 20 sein.“ Zudem werde es schon im Vorfeld einen sehr intensiven Dialog zwischen den Zulieferern geben, so dass jeder das von ihm verantwortete Teil so konstruiert, dass ein preiswertes Auto ermöglicht wird. „Das heißt zum Beispiel: Nicht Leichtbau um jeden Preis, wie es bei vielen anderen geplant ist“, sagt Kampker. Er habe für sein Projekt Kontakt mit den großen Autoherstellern in Deutschland aufgenommen. Doch sei deren Denken zu sehr auf die herkömmlichen Modelle konzentriert, um das neue Produktionskonzept umzusetzen. Unter den Partnern der Streetscooter GmbH sind durchaus nicht nur etablierte Autozulieferer, sondern viele Quereinsteiger aus dem Mittelstand, die bisher mit der Autoproduktion nichts zu tun hatten.
Wie in jedem Elektroauto wird auch beim Streetscooter die Batterie die wichtigste - und mit bis zu 8000 Euro auch teuerste - Komponente sein. Kampker will die Batterie nicht bei einer der Branchengrößen wie Panasonic, LG oder Johnson Controls bestellen, sondern bei einem kleinen Unternehmen aus Lübeck, das Brennstoffzellen und Lithium-Ionen-Zellen produziert: Der Energietechnikspezialist OMT soll einen Stromspeicher liefern, der mindestens 100 Kilometer Reichweite ermöglicht.
Um das Auto günstig zu halten wird auch auf einige Extras verzichtet. So wird statt einer Klimaanlage eine neuartige Dämmung um Einsatz kommen. Das spart auch den kostbaren Strom, der für das Fahren gebraucht wird. Abgeschaut wird das Thermomanagement bei Passivhäusern. Die notwendige Umlufttechnik, die nur geringe Mengen der kalten oder warmen Frischluft beimengt, bekommt Streetscooter vom Autozulieferer BHTC.
Doch allzu schnell werden Kampkers ehrgeizige Pläne nicht Wirklichkeit werden. Streetscooter soll in den nächsten zwei Jahren zehn Vorserienfahrzeuge herstellen. Für das Jahr 2013 ist dann die Produktion von 2000 Autos geplant. „Erst danach beginnt die Großserie“, sagt Kampker. Vielleicht kommt es aber auch anders: nämlich dann, wenn einer der großen Autohersteller sich doch noch von dem Konzept für das Elektro-Volksauto aus Aachen überzeugen ließe und groß einsteigt.