«Who Killed the Electric Car?»

General Motors und die Sache mit dem EV1
Quelle: Züricher Tages-Anzeiger v.11.07.2006

Vor zehn Jahren führte General Motors in Kalifornien die Elektrofahrzeuge EV1 ein. Sie fanden grossen Anklang. Doch heute sind die meisten Modelle verschrottet. Was ist passiert?

EV1-Fahrzeug Im Juni erlitt General Motors in den USA einen Absatzeinbruch von 26 Prozent, während Erzrivale Toyota um 14,4 Prozent zulegen konnte. Das ist kein Zufall. Denn GM bietet in den USA vor allem spritfressende Geländewagen und Pick-ups an, die wegen der hohen Benzinpreise aus der Mode geraten sind, während Toyota mit seinen sparsamen Fahrzeugen und den Hybridmodellen der Konkurrenz davonfährt.

Ganz klar: GM verschlief die Hybridwelle. Doch die Detroiter sägten auch jenen Ast ab, auf dem sie saßen, als sie im Jahr 2002 damit begannen, die ganze Flotte ihres populären Elektromobils EV1 einzuziehen und – trotz lauten Protesten – zu verschrotten.
Kein Geringerer als GMChef Rick Wagoner gab das kürzlich zu. In der Juni-Ausgabe der Fachzeitschrift «Motor Trend» beantwortete Wagoner die Frage, was seine schlechteste Entscheidung als GM-Boss gewesen sei, mit folgenden Worten:
    «Axing the EV1 electriccar program and not putting the right resources into hybrids.» Also das Henkersbeil für das Elektromobil und die Vernachlässigung der Hybriden.

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«Who Killed the Electric Car?»
Wie konnte GM die erfolgreichen und angesichts der hohen Benzinpreise so beliebten Elektromobile buchstäblich begraben? Dieser Frage geht der in den USA Ende Juni angelaufene Dokumentarfilm «Who Killed the Electric Car?» von Filmemacher Chris Paine nach. Der Film hat in den USA ein grosses Echo ausgelöst, und die Medien sind des Lobes voll – selbst das sonst so konservative «Wall Street Journal».

Paine zieht seinen Film als «Schauprozess» auf, bei dem die Schuldigen für den Tod des GM-Elektromobils EV1 gefunden werden sollen. Denn um die Luftverunreinigung in Südkalifornien zu senken, schrieb Kalifornien 1990 den Autobauern vor, dass bis zum Jahr 2003 10 Prozent ihrer dort verkauften Fahrzeuge immissionsfreie Elektromobile sein mussten.

Knirschend fügten sich die Autokonzerne diesem Befehl, und 1996 brachte GM den EV1 auf den Markt. Die Nachfrage nach diesen geräuschlosen Elektromobilen war gross, doch General Motors stellte nur gerade 1134 EV1-Modelle her, obwohl die Warteliste innerhalb kürzester Zeit auf über 5000 angestiegen war. Ausserdem weigerte sich GM, den EV1 zu verkaufen. Die Detroiter verleasten ihn bloss für drei Jahre an 800 Kunden und gestalteten das Leasingverfahren äusserst schwierig. So mussten sich die Kunden verpflichten, den EV1 nach Ablauf des Leasingvertrages an GM zurückzugeben. Vor vier Jahren kündigte GM schliesslich das ganze Programm, zog die Elektromobile trotz hitzigen Protesten der Benutzer ein und verschrottete fast alle der Kultautos.

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Warum?
Paines These: Der EV1 wurde das Opfer seiner eigenen Vorzüge. Das Elektromobil funktionierte allzu gut: Man musste es über Nacht in der Garage bloss an die Steckdose anschliessen, um die Batterie aufzuladen – im Vergleich zum Volltanken eines normalen Autos zu einem Bruchteil der Kosten. Zudem brauchte der EV1 praktisch keine Wartung und keine Reparaturen, denn ein Elektromobil verfügt über rund 90 Prozent weniger bewegliche Teile als ein Auto mit einem Verbrennungsmotor. Das beliebte Elektromobil stellte also eine ernste Bedrohung zweier mächtiger Wirtschaftszweige dar: der Auto-und der Ölindustrie.

In der Tat setzen diese beiden Industriezweige die kalifornischen Behörden unter gewaltigen Druck, das Mandat für immissionsfreie Elektromobile aufzuheben, was sie schliesslich auch taten. GM behauptet heute, der EV1 habe trotz eines Riesenaufwands einfach keinen Anklang gefunden. Das bestreiten jene, die es wissen müssen: beispielsweise Chelsea Sexton, die das Leasingprogramm für den EV1 geleitet hatte. Sie und viele andere sind überzeugt, dass die Detroiter ihr Elektromobil von Anfang an zum Scheitern verurteilt hatten: Denn trotz grosser Nachfrage wurde die Produktion gedrosselt; das Leaseverfahren war konsumentenfeindlich; die Werbung für den EV1 war – wie der Film eindrücklich zeigt – eine Antiwerbung, die potenzielle Kunden abschrecken sollte. Und GM weigerte sich hartnäckig, die bereits hergestellten EV1-Modelle nach Auslaufen des Leasingprogramms der Kundschaft zu verkaufen.

Doch vielleicht zeigen es die Elektromobilliebhaber den US-Autokonzernen doch noch. Unternehmen in den USA bieten Hybridbesitzern so genannte «conversion kits» an, die es ihnen erlauben, nachts per Steckdose die Batterie ihres Hybridautos aufzuladen und am nächsten Tag bis zu einer gewissen Distanz nur mit dem Elektromotor zu fahren. Unter Druck der Elektroliebhaber hat Toyota jetzt zugesagt, in den USA Hybridmodelle anzubieten, die man per Steckdose aufladen kann.

Laut CNN soll sich nun auch GM dazu bereit erklärt haben.