Das Elektroauto ist eine Revolution für die Maschinenbauer
Quelle: Handelsblatt, Author Tino Andresen, Freitag, 16. April 2010

Durch die Hybridisierung und Elektrifizierung im Automobilbau ändere sich langfristig die gesamte Wertschöpfungskette. Das führt zwangsläufig zu strukturellen Veränderungen in der Produktion. Dort müssten völlig neue Abläufe entwickelt werden.

Für die Autoindustrie ist der Maschinebau ein wichtiger Partner. Umgekehrt sie ist für ihn ein ganz wichtiger Kunde - mit einem Anteil von zehn Prozent, der sich nach Einschätzung des Branchenverbands VDMA unter der Berücksichtigung indirekter Beziehungen mindestens verdoppelt. Und für die Branche gilt es jetzt, so die Einschätzung von Achim Kampker, Leiter des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen. "Es muss uns gelingen, Tempo aufzunehmen, dann haben wir gute Chancen, ansonsten ein richtiges Problem."

Das Auto müsse wie von Daimler (Xetra: 710000 - Nachrichten) propagiert noch mal neu erfunden werden. Es gehe um deutlich mehr als den Antriebsstrang. Auch mit Blick auf den Gipfel mit der Kanzlerin, von dem er sich einen "gemeinsamen Auftakt" erhofft, fügt er hinzu: "Derzeit sind wir in einer kritischen Phase. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich viel entscheiden."

Viele Maschinenbauer jedenfalls scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Im Rahmen der am kommenden Montag beginnenden Hannover Messe wird es erstmals die Mobilitec geben, eine neue Leitmesse für hybride und elektrische Antriebstechnologien, mobile Energiespeicher und alternative Mobilitätstechnologien.

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Über den Erfolg alternativer Antriebe wird ganz wesentlich der Preis entscheiden, da sind sich die Experten einig. In diesem Zusammenhang verdeutlicht Rauen vom VDMA die wichtige Rolle der Maschinenbauer: "Herstellungskosten in den Griff zu bekommen, ist eine Frage effizienter Herstellungstechnologien."

Kampker vergleicht die bevorstehenden Veränderungen mit der massenhaften Verbreitung von PCs: "Entscheidend ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Elektrofahrzeuge zu einem vernünftigen Preis würden einschlagen wie eine Bombe." Die veränderte Kostenstruktur hält er für die Kerninnovation und sagt: "Das ist nicht Deutschlands traditionelle Stärke." Seine kurzfristige Prognose ist angesichts der Überkapazitäten der Autobranche eindeutig: "Im Moment gehen erst einmal Jobs verloren."

Insgesamt aber sieht Kampker für den deutschen Maschinenbau und den Standort Chancen und Risiken zugleich: "Wir können wie Phönix aus der Asche auferstehen, aber auch viel verlieren." So erwartet Verbandsfunktionär Rauen, dass mechanische Antriebskomponenten teilweise entfallen und durch mechatronische sowie elektrische Baugruppen ersetzt werden. Die Folge laut RWTH-Professor Kampker: "Werkzeugmaschinenbauer werden es schwer haben und verlieren."

Das würde sie hart treffen, denn gut 30 Prozent der deutschen Werkzeugmaschinen werden für die Automobilindustrie produziert, unter Berücksichtigung indirekter Beziehungen sogar deutlich mehr. "Die Autoindustrie ist unser Motor", sagt Martin Kapp. Der Vorsitzende des Vereins deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) erwartet: "Es wird einiges wegbrechen. Die Stückzahlen werden sich verschieben." Für den Fall flächendeckender Elektromobilität gehen Experten davon aus, dass sich die Zerspanzeiten um 70 Prozent reduzieren werden. Dies beträfe laut dem VDW fast alle an der Motorenproduktion beteiligten Fertigungsverfahren. aber auch die Getriebefertigung.

Ein steigender Anteil hingegen wäre demnach bei der Drehbearbeitung sowie der Fertigung kleinerer Teile für die Elektroantriebe zu verzeichnen. Bei der Herstellungstechnik für Elektro (EKTR3.SA - Nachrichten) - und Radnabenmotoren sieht Kapp die deutschen Werkzeugmaschinenbauer gut aufgestellt: "Wir müssen nicht unbedingt etwas ganz neues erfinden. Elektromotoren werden schon produziert."

Sein Unternehmen, die Kapp-Gruppe aus Coburg, ist mit ihren 700 Beschäftigten auf Verzahnungs- und Profilschleifmaschinen spezialisiert, mit deren Hilfe Zahnräder, Pumpenteile und Lenkungskomponenten hergestellt werden. Kapp sieht durchaus Potenzial: "Da kann bei hochwertigster Produktion Energie eingespart werden."

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Auch insgesamt gibt er sich zuversichtlich. Dank des "einmaligen Dreigestirns" aus den deutschen Autobauern mit ihren hohen Qualitätsansprüchen, dem Maschinenbau sowie die Hochschulen im Land "werden wir mitmischen, egal, wo die Entwicklung stattfindet. Wir sind auch mit allen Asiaten im Geschäft." Dennoch rät der VDW seinen Mitgliedern: "Die derzeitige Phase des Umbruchs sollten Unternehmen dazu nutzen, sich intensiv Gedanken über ihre Ausrichtung in einer alternativen automobilen Zukunft zu machen."

Jürgen Fleischer, Chairman von MAG, der nach eigenen Angaben weltweiten Nummer 6 im Werkzeugmaschinenbau, die ihren Kunden schlüsselfertige Lösungen anbietet, speziell für den Antriebsstrang, erwartet: "Für MAG wird das Produktspektrum breiter." Denn er prognostiziert eine Entwicklung hin zu kleineren Verbrennungsmotoren, daneben zunächst Hybrid- und dann Elektroantrieben.

Ursprünglich kommt das Unternehmen mit 3100 Mitarbeitern aus der Zerspanung. Jetzt muss es sich in neue Technologien einarbeiten. "Für uns wird es kein Problem sein, unser Kompetenzportfolio zu erweitern", sagt Fleischer. "Wir werden in der Lage sein, weltweit wettbewerbsfähig zu fertigen." Dazu müsse es gelingen, die komplette Wertschöpfungskette darzustellen. Die Entwicklung ist sehr kostenintensiv und erfordert hohe Investitionen. Deshalb arbeiten sie viel mit strategischen Partnern zusammen, ein Modell, von dem Kampker sehr viel hält. "Wir müssen es schnell hinbekommen Maschinen für 50 000 bis 100 000 Einheiten im Jahr zu bauen", sagt Fleischer, der davor warnt, "dass wir in Europa verglichen mit China nicht zu langsam sind".

Große Chancen sieht Rauen auch beim Recycling von Batterien und E-Motoren. Riesenpotenzial macht RWTH-Professor Kampker für die Automationstechnik aus, etwa bei der Montage von Batterien und Fahrzeugen oder in Zusammenhang mit der Batterie für Beschichtungstechnologien, wo in der Textil-, Lebensmittel- oder Druckbranche aktive Maschinenbauer ihr Betätigungsfeld ausbauen könnten. Er erwartet, dass sich der klassische Automobilrohbau durch Leichtbau-Anforderungen verändern wird. Die Endmontage könne durch alternative Fahrzeugstrukturen und kleine, leichtere Komponenten neu gestaltet werden.

Auch Rauen vom VDMA ist sich sicher, dass die Autobranche etwa bei Antriebs- und Karosseriekomponenten auf die Schlüsseltechnologie Leichtbau angewiesen sein wird. Das bestätigte BMW (Xetra: 519000 - Nachrichten) -Chef Norbert Reithofer am Donnerstag auf einem Auto-Kongress in Stuttgart: "Durch konsequenten Leichtbau wollen wir das Gewicht der Batterie kompensieren."

Als eine weitere sehr große Stärke der Deutschen betrachtet Kampker die sehr hohen Anforderungen an die Präzision in Zusammenhang mit Elektromotoren. "Das ist perfekt zugeschnitten auf das, was wir können." Profitieren könnte davon beispielsweise Mahr, ein Hersteller von Investitionsgütern für Längenmesstechnik zur Qualitätsprüfung. Die Hauptabnehmer des Unternehmens mit 1500 Beschäftigten sind Autohersteller und-zulieferer.

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"Ein kleines Team (NASDAQ: TISI - Nachrichten) beschäftigt sich in unserem Unternehmen mit der Frage, was der Wandel für uns in den kommenden 20 Jahren bedeutet", sagt Mahr-Chef Thomas Keidel. Der geschäftsführende Gesellschafter versucht seine Mitarbeiter angesichts der Entwicklung hin zu effizienteren Verbrennungsmotoren, Hybrid- und Elektroantrieben zu beruhigen: "Das ist eine neue Chance, keine Bedrohung, wie zunächst von der Belegschaft empfunden - auch wenn ein Elektromotor weniger drehende Teile hat als ein Verbrennungsmotor." Dementsprechend will er handeln: "Wir wollen auf den Zug aufspringen, uns wandeln, um die technologische Herausforderung zu meistern."

Deshalb präsentiert sich Mahr auf der Mobilitec. "Wir laufen uns warm", sagt Keidel, der die Messe persönlich besucht, "um dort zu schnuppern". Den deutschen Maschinenbau insgesamt sieht er sehr gut gerüstet. "Das ist unsere Zukunft. Wir leben von solchen Veränderungen. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen."

Auch MAG-Chairman Fleischer zeigt sich überzeugt, dass jetzt wichtige Weichenstellungen anstehen. Für unbedingt notwendig hält Achim Kampker die integrierte Produkt- und Prozessplanung. "Uns muss es gelingen, den Kopf frei zu bekommen für den Neuanfang", wobei er stark auf mittelstandsgetriebene Innovation setzt. Wenn das gelingt, sieht er Chancen, dass unter dem Strich zusätzliche Arbeitsplätze in Deutschland entstehen.

Jürgen Fleischer erwartet, "dass der deutsche Maschinenbau seine führende Rolle behalten wird. Denn die asiatische Konkurrenten sind zwar Kostenführer, aber bei Komplexität sind wir vorne." Auch wenn Kampker warnt: "Wir müssen aufpassen, dass sich das Beispiel Transrapid nicht wiederholt", gibt Fleischer sich selbstbewusst: "Dort, wo sich die Produktionstechnologie ansiedelt, wird der deutsche Maschinenbau mitmischen."