Geo-Engineering im Aufwind
Quelle: heise online vom 19.12.2008
Immer neue Alarmmeldungen vom sich beschleunigenden Klimawandel sorgen dafür, dass auch exotische, großtechnische Pläne zur Bekämpfung des Treibhauseffektes ernstgenommen werden.
Vor rund zwei Jahren hatte Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen die wissenschaftliche Fachwelt mit einem geradezu schockierend unkorrekten Vorschlag aufgerüttelt: 1,5 Millionen Tonnen winziger Schwefeldioxid-Partikel, mit Hilfe von Ballons in 10 bis 50 Kilometer Höhe ausgestreut, würden ausreichen, den Klimawandel zu stoppen, hatte Crutzen in der Zeitschrift „Climatic Change“ vorgerechnet. Und die Kosten gleich mit: zwischen 25 und 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr. „Das Beste wäre natürlich, die Emission von Treibhausgasen so zu reduzieren, dass es nicht notwendig ist, mit Schwefel in der Stratosphäre zu experimentieren“, schreibt er. „aber zurzeit sieht das aus wie ein frommer Wunsch.“
Der Vorschlag hat tatsächlich etwas Bestechendes: Keine mühsamen, jahrelangen politischen Verhandlungen mehr, keine fruchtlosen Appelle an die menschliche Vernunft, keine neuen Gesetze und Regulierungen, kein Verzicht auf Wirtschaftswachstum und nur wenig Zusatzkosten – und die Gefahr des Klimawandels wäre trotzdem gebannt: „Geo-Engineering“ wird dieses Kunststück genannt. Kritikern dieses Konzeptes gelten solche Pläne als Ausgeburten des großtechnischen Machbarkeitswahns – letzte Zuckungen einer aussterbenden Spezies technikgläubiger Besserwisser, die der Notwendigkeit von Kohlendioxid-Reduktion durch abenteuerliche Tricks entgehen wollen, deren Folgen und Nebenwirkungen niemand absehen kann: Da soll die Erde durch gigantische Sonnensegel im All beschattet werden, die Ozeane gedüngt, Wolken künstlich aufgehellt oder eben Tonnen von Schwefel in die obere Atmosphäre geblasen werden. Doch seit Crutzens umstrittenem Aufsatz geraten die Kritiker des Geo-Engineering zunehmend in die Defensive.
„2006 war der Wendepunkt“, sagt der Klima-Experte Ken Caldeira. „Seit rund zwei Jahren hat sich das Klima in der Diskussion spürbar geändert.“ Caldeira, Leiter des Labors für „Globale Ökologie“ der Stiftung „Carnegie Institution of Washington“, spricht langsam und bedächtig – und hebt am Schluss des Satzes die Stimme, was jeder Aussage einen fast fragenden Tonfall verleiht. Mitten im Gespräch entschuldigt er sich „nur für dreißig Sekunden“, um seine Katze zu füttern, die ihm später maunzend um die Beine streicht. Doch von Caldeiras bedächtiger Art darf sich niemand täuschen lassen: Der sanfte Gelehrte und Öko-Aktivist gilt als einer der umtriebigsten Verfechter großtechnischer Klimamanipulation, hat Dutzende von Aufsätzen und Studien dazu verfasst und taucht auf jeder namhaften internationalen Tagung zum Thema auf.
Was hat den Forscher, der in den Achtzigerjahren Großdemos gegen Atomenergie organisierte, zu seiner heutigen Position gebracht? Vor allem die Sorge um den Zustand der Welt, sagt Caldeira. „Wenn wir weiter Geländewagen fahren und Kohlekraftwerke bauen, wenn weiter das Grönland-Eis schmilzt, Methan aus den Permafrostböden austritt und die Eisbären aussterben, was dann? Wenn es nun tatsächlich möglich wäre, eine Art Schild in der Stratosphäre zu bauen? Sollte man dann das Ökosystem in Grönland kollabieren lassen, nur um der Gesellschaft beizubringen, dass es falsch ist, was wir tun?“
Caldeira steht mit seiner Meinung nicht allein. „Die Sorge, dass die Weltgemeinschaft den Klimawandel nicht in den Griff bekommen könnte, wächst unter Wissenschaftlern einfach immer schneller“, sagt auch Professor Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Dieses Jahr ist wieder einmal das Jahr mit dem meisten CO2-Ausstoß in der Geschichte – das haben wir eigentlich fast jedes Jahr.“ Und selbst eine konservative Organisation wie die ehrwürdige britische Royal Society hat im Oktober eine elfköpfige Arbeitsgruppe eingerichtet, die das Konzept des Geo-Engineering prüfen soll. Bereits Ende des kommenden Jahres soll die Kommission politische Empfehlungen zu den machbarsten Vorschlägen, das Klima großtechnisch zu kontrollieren, abgeben.
Denn die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre steigt schneller, als selbst in den pessimistischen Szenarien des Internationalen Klimarats bisher angenommen wurde: Vor 1800, dem Beginn der sogenannten industriellen Revolution, fanden sich rund 280 Teile CO2 pro Millionen Moleküle (ppm) in der Atmosphäre – insgesamt entspricht das etwa 586 Gigatonnen Kohlenstoff. Heute belaufen sich die Zahlen auf über 380 ppm oder rund 790 Gigatonnen. Selbst wenn wir die CO2-Emission auf einem Niveau stabilisieren wollten, das doppelt so hoch ist wie vor der industriellen Revolution – dieses Niveau liegt ein Grad über dem Schwellwert für eine gefährliche Erwärmung –, müssen wir alle zukünftigen Emissionen auf rund 600 Gigatonnen begrenzen. Das entspricht rund sechs Gigatonnen pro Jahr – zurzeit sind wir bereits bei etwa acht Gigatonnen mit weiter steigender Tendenz.