Meeresspiegel steigt um einen Meter
Quelle: Welt online, Ausgabe vom 29.12.2008
Grönlandeis und Gletscher schmelzen in Rekord-Zeiten
Dazu kommen Schmutzpartikel in der Luft, die Sonnenlicht abschirmen. „Wir müssen uns auf einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter noch in diesem Jahrhundert einsstellen", sagten Klimaforscher. Die Finanzkrise droht den Klimaschutz zu verdrängen.
Klimaforscher befürchten aufgrund neuer Forschungsergebnisse weit schwerwiegendere Folgen des weltweiten Klimawandels als bisher angenommen. „Wir müssen uns auf einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter noch in diesem Jahrhundert einsstellen“, sagte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Joachim Schellnhuber. Er verwies auf eine deutlich beschleunigte Schmelze von Grönlandeis und Gletschern. Für Unsicherheit sorgt zudem die Abnahme von Schmutzpartikeln in der Luft, die Sonnenlicht abschirmen. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) warnte dringend davor, wegen der aktuellen Finanzkrise beim Klimaschutz nachzulassen.
Nach Studien der Universität von Wisconsin-Madison und anderer US-Forscher reagieren Eisschilde schneller auf Klimaveränderungen als bisher angenommen. Schellnhuber wies darauf hin, dass sich die Abschmelzraten der Gletscher im Himalaya sowie des grönländischen Eisschildes in den vergangenen Jahren verdoppelt bis verdreifacht haben. Ursache sei unter anderem der verstärkte Schadstoffausstoß chinesischer Kohlekraftwerke. Dadurch werde das Eis grauer und könne weniger Sonnenlicht reflektieren.
Vorsichtiger beurteilt Schellnhuber eine zweite Studie, wonach selbst bei einem Sofortstopp aller CO2-Emissionen eine weltweite Erwärmung um 2,4 Grad nicht mehr zu vermeiden sei – was unter anderem den Kollaps des Amazonas-Regenwaldes bedeuten würde. Begründet wird dies mit der Abnahme von Schmutzpartikeln in der Luft, die bislang Sonnenlicht absorbieren. Die Studie berücksichtigt jedoch laut Schellnhuber nicht, dass bislang noch CO2 von den Ozeanen aufgenommen werde. Daher könne die Erwärmung noch auf zwei Grad begrenzt werden – aber nur, wenn spätestens ab 2015 eine Trendwende bei den Emissionen eingeleitet sei. „Jedes Zögern und Zucken bedeutet, dass die Klimaziele nicht mehr erreicht werden können“, warnte Schellnhuber.
Schmutzpartikel kontra Gesundheit
Der Leiter des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke, verglich die Wirkung der Schmutzpartikel, der Aerosole, mit einem Sonnenschirm. Während die CO2-Menge in der Atmosphäre in Jahrzehnten langsam zu- oder abnehme, „können Sie den Sonnenschirm sehr schnell zuklappen“, sagte er in Berlin. Eine solche Reduzierung von Schmutzpartikeln sei aus Gesundheitsgründen auch unbedingt nötig; der Klimaeffekt der Treibhausgase könne dadurch aber plötzlich drastisch ansteigen.
Derzeit nehmen zudem auch die CO2-Emissionen selbst massiv zu – vor allem aufgrund der Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie der fortschreitenden Abholzung tropischer Regenwälder. Es gebe eine jährliche Zunahme der Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe um 3,5 Prozent, sagte in Berlin Gernot Klepper vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Vor 20 Jahren habe die jährliche Zunahme noch bei einem Prozent gelegen.
Gabriel hob mit Blick auf die Finanzkrise hervor, man dürfte jetzt nicht für den Klimaschutz weltweit erforderliche rund 100 Milliarden Euro einsparen, „um damit die Casinoschulden zu bezahlen“. Die Folge wären „ungeheure Summen für Klimafolgen, wenn unsere Kinder erwachsen sind“. Gabriel äußerte allerdings die Hoffnung, dass die Finanzkrise sogar zu einer Rückbesinnung auf klassische Investitionen in Energie- und Ressourceneffizienz führen könne. Dies sei „allemal lohnender als Spekulationen auf virtuellen Märkten.
Die Umweltexpertin der Linken-Fraktion, Eva Bulling-Schröter, warf Gabriel vor, selbst klimapolitisch auf die Bremse zu treten – sowohl bei der Diskussion über Spritverbrauchsgrenzen für Neuwagen in der EU als auch „bei der Anrechnung windiger 'Klimaschutzprojekte' im Emissionshandel.
Der SPD-Energieexperte Axel Berg forderte die Bundesregierung auf, sich bei den aktuellen Verhandlungen auf EU-Ebene für das sogenannte Top-Runner-Prinzip einzusetzen, wonach jeweils die energieeffizientesten Geräte zum vorgeschriebenen Standard erklärt werden.