Klimaschutz-Abkommen bleibt wirkungslos
Quelle: Spiegel online vom 20.11.2007

Frust an der Klimaschutz-Front: Die Uno hat neue Zahlen veröffentlicht, die jede Hoffnung auf eine schnelle Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes enttäuschen. Anstatt ihre Emissionen zu vermindern, blasen die Industrieländer immer mehr Klimagase in die Luft.

Erfolgsmeldungen in Sachen globaler Klimaschutz sind ohnehin Mangelware - doch was die Vereinten Nationen am heutigen Dienstag bekanntgegeben haben, ist besonders ernüchternd. Das Sekretariat der Klimarahmenkonvention von Rio (UNFCCC) veröffentlicht am Mittag die jüngsten Trends der Treibhausgas-Emissionen in westlichen Industriestaaten und früheren Ostblockländern. Die Daten bis ins Jahr 2005 belegen, dass die Welt noch weiter von ihrem Kyoto-Kurs abgekommen ist. Viele Länder sind meilenweit von den Reduktionsverpflichtungen entfernt, die sie vor immerhin schon zehn Jahren in Japan eingegangen sind.

"Diese Trends sind besorgniserregend", sagte Yvo de Boer, Chef des Klimasekretariats, in Bonn. Die Emissionen seien zwischen 2004 und 2005 um 2,6 Prozent und damit fast auf ein neues Allzeithoch gestiegen. De Boer übte sich dennoch in Zweckoptimismus: Die fast 40 Staaten, die das Kyoto-Abkommen ratifiziert hätten, könnten dessen Ziel - eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um fünf Prozent bis 2012 gegenüber 1990 - noch erreichen.

Das in Japan beheimatete Institut für Globale Umweltstrategien hat die UNFCCC-Zahlen bereits in die eigene Datenbank eingespeist und sie ins Internet gestellt. Wer lange genug im Labyrinth der Webseiten des Klimasekretariats suchte, wurde auch dort schon vor der offiziellen Veröffentlichung fündig und stieß auf die aktuellen "Schlüssel-Treibhausgas-Daten" bis einschließlich 2005. Sie zeigen: Bei vielen westlichen Industrieländern sind zweistellige Zuwachsraten gang und gäbe - selbst in der Europäischen Union, die sich gerne als Schrittmacher und Musterknabe der internationalen Klimapolitik sieht.

Nicht nur USA und Australien haben zugelegt

Kyoto, so viel scheint klar, wird damit zur Gratwanderung - auch wenn de Boer sich hoffnungsvoll gibt. Eine Trendwende seit 2003 - dem Jahr, für das das Klima-Sekretariat zuletzt offizielle Zahlen vorgelegt hat - ist nicht erkennbar. Im Gegenteil: Die Emissionen klimaschädlicher Spurengase steigen in fast allen Industrie- und Umbruchsländern.

Angeführt wird die Liste der Klimasünder von der Türkei, deren Treibhausgasausstoß 2005 um fast 75 Prozent höher war als 1990, dem Basisjahr der Uno-Klimarahmenkonvention. Dass die beiden Kyoto-Verweigerer Australien (plus 25,6 Prozent) und USA (plus 16,3 Prozent) weiter kräftig zugelegt haben, kommt nicht unerwartet.

Doch auch Länder, die das Klimaschutzprotokoll ratifiziert haben und ihre Emissionen eigentlich kontrollieren müssten, melden Zuwachsraten, die man sich vielleicht im Aktiendepot wünscht, nicht aber in den Katastern der Klimagase Kohlendioxid, Methan & Co. Dazu zählen Kanada (25,3 Prozent), Neuseeland (24,7), Liechtenstein (17,4), Island (10,5), Norwegen (8,8) und Japan (6,9). Diese Trends werden von mehreren Mitgliedern der Europäischen Union sogar noch übertroffen, und zwar von Spanien (plus 53,3 Prozent), Portugal (42,8), Griechenland (26,6) und Irland (26,3). Österreich (plus 18 Prozent) und Italien (12,1) stehen nicht viel besser da.

Setzt man diese Zahlen in Relation zu den Abmachungen des Kyoto-Protokolls, wird die Diskrepanz in vielen Fällen noch größer. Beispiel Kanada: Das Land hat sich dazu verpflichtet, seine Treibhausgas-Emissionen bis spätestens 2012 um sechs Prozent zu drosseln. Das heißt, die Kanadier liegen nach den Zahlen von 2005 sogar 31,3 Prozent über ihrem Soll und nicht bloß 25,3. Dass sie die Kurve noch rechtzeitig kriegen, ist praktisch ausgeschlossen.

Prima Klima in Schweden

In der EU ergibt sich angesichts der sehr unterschiedlichen individuellen Kyoto-Ziele ein differenziertes Bild. Portugal (plus 27 Prozent), Griechenland (25 Prozent), Spanien (15 Prozent) und Irland (13 Prozent) dürfen sich nach der EU-internen Budgetierung ihre Emissionen sogar noch steigern, denn dafür haben sich andere EU-Länder zu überproportionalen Rückgängen bereiterklärt - etwa Luxemburg (minus 28 Prozent), Deutschland, Dänemark (beide 21 Prozent), Österreich (13 Prozent) und Großbritannien (12,5 Prozent). Berücksichtigt man diese Lastenverteilung, bleibt Spanien zwar Klimaschutz-Schlusslicht in der EU. Doch auf den Plätzen folgen nicht mehr Portugal, Griechenland und Irland, sondern Österreich, Luxemburg und Italien. Deren klimapolitische Nachlässigkeit ist also viel größer, als die blanken Zahlen zunächst vermuten lassen.

De Boer kritisierte auch die Bundesregierung für ihre Energiepolitik. Das Ziel, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken, sei zwar eine "wegweisende Entscheidung". "Ich frage mich allerdings, wie das gehen soll, wenn die in Deutschland geplanten 25 Kohlekraftwerke gebaut werden", sagte de Boer der "Frankfurter Rundschau". Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, dürften eigentlich nur noch Kraftwerke auf Basis erneuerbarer Energien ans Netz genommen werden, so de Boer.

"Die Politik muss eine Antwort finden"

Primus in der alten EU-15 ist eindeutig Schweden: Den Skandinaviern wurde ein Plus von vier Prozent gewährt; tatsächlich haben sie ihren Treibhausgas-Ausstoß im Jahr 2005 aber um 7,3 Prozent reduziert. Lediglich drei weitere EU-15-Mitglieder erreichen nach gegenwärtigem Stand ihr Kyoto-Ziel: Großbritannien lag 2005 um 2,3 Prozent unter der Grenze, Finnland um 2,5 Prozent und Frankreich um 1,6 Prozent. Deutschland dagegen muss noch nachlegen: Von der angepeilten Ausstoß-Reduktion von 21 Prozent waren 2005 erst 18,4 erreicht - es fehlen also noch 2,6 Prozent.

Mittlerweile scheint nicht einmal mehr das Reduktionsziel der Europäischen Kommission noch in Reichweite zu sein. Um insgesamt acht Prozent will die EU-15 ihre Treibhausgas-Emissionen eigentlich zurückschrauben - doch 2005 war sie erst bei 1,5 Prozent angelangt. Als wahre Musterknaben der Klimapolitik erscheinen die früheren Ostblockländer - mit überwiegend zweistelligen Emissionsrückgängen.

De Boer kritisierte die Industrienationen dafür, dass ihr Beitrag zu den globalen Treibhausgas-Emissionen ausgerechnet jetzt steige, da man sich in Verhandlungen mit Schwellenländern befinde. Ob die weltweite Klimapolitik erfolgreich sein kann, entscheide sich bei der Uno-Klimakonferenz auf Bali in zwei Wochen. Es gebe eine "glasklare Botschaft" der Wissenschaft, dass die Menschheit für den Klimawandel verantwortlich sei, sagte de Boer. "Jetzt muss die Politik eine Antwort finden."