Großer Wirbel um heiße Luft
Die Debatte über die CO2-Zertifikate bröckelt.
In der Debatte über die CO2-Zertifikate bröckelt nun die einheitliche Front Industrie gegen Umweltministerium - jetzt kämpft jede Firma um ihren eigenen Vorteil.
Die Nervosität der Industrie steigt von Tag zu Tag - denn der Termin, zu dem jedem Betrieb sein Kontingent
an CO2-Emissionen bekannt gegeben wird, rückt immer näher. Zu rechnen ist damit kommende Woche.
Danach haben die Firmen 14 Tage Einspruchsrecht, und vor der Meldung der Zahlen bis spätestens
Augenfälliges Zeichen für die steigende Unruhe ist das Vorpreschen der Zementindustrie gestern, Montag. In einer Aussendung beklagte sich die Branche, bei der Vergabe der CO2-Emissionszertifikate extrem schlecht abzuschneiden, weil man 60 Prozent jener Einsparungen die der Industrie abverlangt werden, tragen müsse. Das sei "unfinanzierbar", heißt es. Die Zementbranche kritisiert vor allem, dass der Ministerratsbeschluss von vor zwei Wochen wieder aufgeschnürt werde.
Davon könne keine Rede sein, kontern Umwelt- und Wirtschaftsministerium unisono: Man halte sich an den beschlossenen Rahmen, laut dem die Industrie ihren CO2-Ausstoß um 0,6 Mill. und die E-Wirtschaft um 1,05 Mill. Tonnen senken muss - und zwar ausgehend von der Annahme, dass die Industrie weiter wachsen könne. Die Eckdaten seien auch von der Industrie abgesegnet, wird betont.
Im Umweltministerium kann man die Zahlen der Zementin dustrie nicht nachvollziehen. Als mögliche Quelle der
Irritation wird angegeben, dass eine Anlage aus dem Topf Zementunternehmen in den Topf "sonstige mineralische
Produkte" verlagert werden soll, weshalb sich die Vergleichsbasis verändere.
Und: Die Zementindustrie sei sogar bevorzugt, weil prozessbedingte und damit unvermeidliche
CO2-Emissionen nicht eingespart werden müssten.
Nicht zu übersehen ist jedenfalls, dass die bisher geschlossene Front der Industrie gegen das Umweltministerium nun bröckelt. Jede Branche versuche derzeit, ihre besondere Betroffenheit geltend zu machen, formuliert es ein Beobachter. Und wenn die Informationen über die erlaubten CO2-Mengen an die einzelnen Betriebe nächste Woche versendet werden, dann verlagere sich die Debatte auf die Ebene der Unternehmen. Im Klartext: Dann wird auch der jetzige Zusammenhalt der Branchen brüchig und jede Firma rauft eigenständig um ihren Vorteil.
Konkret geht es derzeit darum, noch in letzter Minute Ausbaupläne einzureichen, die bisher angeblich nicht berücksichtigt wurden. Die E-Wirtschaft fordert gleich um 16 Prozent mehr CO2-Zertifikate - ansonsten werde man Kraftwerke abschalten und bereits geplante Kraftwerksbauten abblasen, droht der Verbund. Die Voestalpine will für ihren Ausbau in Linz um sechs Prozent mehr Zertifikate zugesprochen bekommen, die OMV verlangt für die neue Entschwefelung und den Ausbau eines Crackers um 14 Prozent mehr CO2-Zertifikate. Verhandlungsbedarf wird auch in der Papier- und eben in der Zementindustrie geortet.
Die zusätzlichen Forderungen der Industrie werden derzeit vom Umweltministerium und vom Umweltbundesamt
geprüft. Bis dieses Verfahren abgeschlossen sei, könne man die Mehrkosten für die Industrie noch nicht
exakt angeben, heißt es von offizieller Seite. Beobachter sprechen aber trotzdem schon vorsichtige
Schätzungen aus: und zwar jährlich zehn bis maximal 20 Mill. Euro.
Quelle: Die Presse v. 2.3.2004
Emissionslimits - eine Regierungssache
Die Industrie fordert, aus der Festlegung der CO2-Emissionslimits eine Regierungssache zu machen.
"Alle haben das Thema unterschätzt - auch die Industriellenvereinigung." Selbstkritisch und zugleich offensiv beklagte
Industriellengeneralsekretär Lorenz Fritz die jüngsten Kostensteigerungen bei Strom:
Laut einer Umfrage unter 250 energieintensiven Industrieunternehmen verteuerte sich Strom für ein Viertel der Betriebe um mehr als zehn Prozent, für
neun Prozent um mehr als 25 Prozent. Teilweise ist das auf die allgemeine Strompreiserhöhung in Europa zurückzuführen, zum Teil macht Fritz
aber den Ökostrom-Zuschlag dafür verantwortlich.
Auf dieser gespannten Kostenbasis befürchtet die IV weitere Belastungen durch die CO2-Emissionszertifikate. Ab 2005 dürfen Industrieunternehmen
nur mehr eine festgelegte Menge CO2 in die Luft blasen. Können sie den Ausstoß stärker als gefordert reduzieren, können sie Zertifikate verkaufen,
brauchen sie mehr, müssen sie Zertifikate zukaufen. Laut der Befragung ist in Österreich eine Ausweitung um drei Mill. Tonnen CO2 geplant (plus 13 Prozent),
der Aufwand dafür wird auf 30 bis 60 Mill. Euro geschätzt. Der Großteil davon betrifft die Expansionspläne der Voestalpine in Linz.
Um den Wirtschaftsstandort nicht zu gefährden, fordert die IV, dass die Vergabe der CO2-Zertifikate zur Regierungssache gemacht wird. "Der
Umweltminister sieht zwar das Problem, kann aber für sich nur die Seite des Klimaschutzes optimieren", so Fritz.
Der Umfrage zufolge ist die Stimmung gespannt:
Sollten die Energiekosten um zehn Prozent steigen, dann will jede dritte Firma sofort die Investitionen in Österreich stoppen.
Bei einer Preiserhöhung um 20 Prozent drohen 15 Prozent sogar mit dem Aus für einen österreichischen Standort.
Quelle: DIE PRESSE vom 26.August 2003