"Einstieg in den Ausstieg aus der Droge CO2"
Quelle: The Epoch Times vom 31.12.2006
Wortlaut eines Gesprächs mit Klimaforscher Schellnhuber:
Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, ist seit kurzem Chefberater der Bundesregierung in Fragen des Klimawandels und der internationalen Klimapolitik. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP plädierte er für eine europaweite Senkung der CO2-Emissionen um 30 Prozent bis 2020. Außerdem schlug er eine neue Initiative im Rahmen der G-8 für die Nachfolge des Kyoto-Abkommens vor, um dem Klimawandel entgegen zu wirken.
Im Folgenden das Interview im Wortlaut:
Wenn der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid nicht gemindert wird, prognostizieren Wissenschaftler einen globalen Temperaturanstieg zwischen drei und fünf Grad bis 2100 mit fatalen Folgen. Welche Erwärmung könnte die Erde gerade noch verkraften?
Schellnhuber:
Alles über zwei Grad globaler Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau ist nicht mehr
beherrschbar. Dann würden Effekte auftreten, die unsere Anpassungsfähigkeit überfordern. Zirka ein Grad
Erwärmung hat die Menschheit seit der industriellen Revolution schon verursacht. Um die Dimension zu verdeutlichen:
Der Unterschied zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit, in der wir uns gegenwärtig befinden, beträgt nur fünf Grad.
Welches sind unumkehrbare Folgen, die es unbedingt zu vermeiden gilt?
Schellnhuber:
Es kann zu so genannten Rückkopplungseffekten kommen. Wenn zum Beispiel größere
Waldsysteme wie am Amazonas zusammenbrechen, werden beim Zerfall dieser Biomasse große Mengen CO2 zusätzlich
freigesetzt. Das würde den vom Menschen verursachten Treibhauseffekt noch verstärken. Das ist schon eine sehr
beklemmende Vorstellung.
Die Bundesregierung streitet mit der EU-Kommission um die Vorgaben für den deutschen CO2-Ausstoß zwischen 2008 und 2012. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas ist die von Umweltminister Sigmar Gabriel vorgeschlagene Reduzierung um zwei Prozent auf 465 Millionen Tonnen zu wenig, er will noch zwölf Millionen Tonnen weniger erlauben. Stimmen Sie ihm zu?
Schellnhuber:
Die weltweiten CO2-Emmissionen aus Industrie, Haushalt und Verkehr müssten bis 2050 etwa halbiert
werden, um die Zwei-Grad-Linie halten zu können. Insofern sind zwölf Millionen Tonnen mehr oder weniger irrelevant.
Aber politisch und symbolisch ist es wichtig, dass Deutschland seine europäischen Verpflichtungen erfüllt und sich mit
der Kommission einigt – am besten auf Einhaltung dieser Vorgaben. Dagegen gibt es Widerstand aus der Industrie. Es
scheint, als ob man die politischen und wirtschaftlichen Hunde noch zum Jagen tragen muss.
Sie haben unlängst vorgeschlagen, eine "Roadmap" zur Erneuerung der Energiegewinnung in der EU zu erarbeiten. Empfehlen Sie der Kanzlerin, die Klima- und Energiepolitik zu einem Hauptanliegen ihrer EU-Ratspräsidentschaft erklärt hat, in welchem Zeitraum die EU-Länder als wesentliche Verursacher von Treibhausgasen umsteuern müssten?
Schellnhuber:
Die EU muss mit einem konkreten Ziel in die 2007 beginnenden Sondierungsgespräche über
eine Nachfolge des 2012 auslaufenden Kioto-Abkommens gehen. Ein absolut notwendiger Einstieg wäre, den
Ausstoß der Treibhausgase in der Union bis 2020 um 30 Prozent zu senken. Deutschland hat dann als Sonderleistung
sogar 40 Prozent Reduzierung in Aussicht gestellt. Um global bis Mitte des Jahrhunderts die 50 Prozent zu schaffen, müssen
die Industriestaaten um 80 Prozent herunter.
Wie kann das angesichts des schleppenden Kyoto-Prozesses gelingen?
Schellnhuber:
Ich habe der Bundeskanzlerin vorgeschlagen, beim G-8-Treffen in Deutschland anzuregen, dass jedes
der teilnehmenden acht Industrieländer und jedes der fünf wichtigsten Schwellenländer einen eigenen Fahrplan
vorlegt. Darin kann jede Regierung darlegen, wie sie langsam aber sicher aus der fossilen Wirtschaft aussteigen will, wie viel
erneuerbare Energie sie installieren und wie sie die Energieeffizienz erhöhen will. Aber ob das offizielle deutsche
Position wird, weiß ich nicht.
Was wäre der Vorteil gegenüber Kyoto?
Schellnhuber:
Diese "Roadmaps" der größten Emittenten weltweit könnten zu
einem "Atlas" zusammengebunden werden. Man sähe, wie weit man auf dem ehrgeizigen Weg zur
Halbierung der CO2-Emission global kommen würde. Und die Regierungen müssten sich an ihren eigenen
Vorstellungen auch messen lassen. Das ist kein Ansatz mit Vorgaben von oben, sondern man sagt: Zeigt mal selbst
auf, was ihr glaubt leisten zu können, aber haltet euch dann auch dran. Außerdem hätte man die USA als
weltweit größten CO2-Verursacher mit im Boot. Wenn dies gelänge, wäre es der Einstieg in den
Ausstieg aus der Droge CO2.
Wie können die Entwicklungs- und Schwellenländer trotz ihres ebenfalls berechtigten Strebens nach wirtschaftlichem Aufschwung in den Klimaschutz eingebunden werden?
Schellnhuber:
Am meisten unter dem Klimawandel werden auf Grund ihrer geographischen Lage die Länder
leiden, die in den vergangenen fünfzig Jahren am wenigsten dazu beigetragen haben. Wir erwarten also im
Grunde genommen von diesen Entwicklungs- und Schwellenländern, dass sie mehr Klimaverantwortung zeigen, als
wir reichen Industriestaaten im Westen. Das ist eine ziemlich beschämende Einsicht, aber für die Zukunft unseres
Planeten immens wichtig.
Halten Sie im Gegenzug zum Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung den Ausbau der Atomkraft für sinnvoll?
Schellnhuber:
Man müsste gigantische Summen ins Spiel bringen und auf eine sichere Kernenergie mit beliebig
langer Laufzeit setzen. Die Uranvorräte aber sind begrenzt, und die Plutoniumtechnologie birgt zu hohe
Sicherheitsrisiken. Günstiger ist es, erneuerbare Energien auszubauen und neue Technologien zu nutzen, wie
etwa das emissionsfreie Kohlekraftwerk mit CO2-Speicherung.
Quelle: Die Neue Epoche:
(Die Fragen stellte Sven Kästner)