Realitätsverweigerung

Die österreichische Energiepolitik ist voller Lebenslügen

Während in ganz Europa schmutzige Kohlekraftwerke und strahlende Atommeiler die Umwelt verschmutzen, ist Österreich eine Ansammlung blühender Blumenwiesen und endloser Almen mit glasklaren Wasserfällen, die ein paar kleine Kraftwerksrädchen antreiben. Und drunten im Tal, da sorgt die blaue Donau für Energie.

Die Realität sieht ein wenig anders aus: In Österreich steigt der Stromverbrauch pro Jahr um drei Prozent, und der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Erzeugung sinkt deswegen. Und je nach Jahreszeit und Wasserstand der Donau müssen wir dann Strom einkaufen: aus Deutschland, aus Tschechien, aus Temelín. Bis zu 30 Prozent Atomstrom gibt es deswegen in den österreichischen Netzen. Sonst wäre es recht oft recht dunkel auf den skiliftüberzogenen und mit Schneekanonen ausgerüsteten Almen und in den Tälern. Wir sind zwar gegen Temelín, aber der Strom sollte schon kontinuierlich fließen.

Knapp 15 Prozent des Energieverbrauchs in der EU wird mit Atomstrom gedeckt, und nur um dieses Niveau zu halten, werden in den kommenden Jahren nicht wenig alte Kernkraftwerke durch neue ersetzt werden müssen. Experten der Internationalen Energieagentur gehen davon aus, dass es bis 2050 jährlich weltweit 30 neue Atomanlagen geben muss, in der EU könnten es bis zu zehn sein.

Da macht es Sinn, zu forschen, vor allem, wenn man nicht so mit Wasserkraft gesegnet ist wie Österreich.

Und da macht es absolut keinen Sinn, gegen die 26 anderen EU-Mitglieder aufzustehen und zu sagen, es dürften keine gemeinschaftlichen Mittel in die Forschung und Entwicklung neuer Atomtechnologien fließen. Das ist verlogen, das ist unehrlich, das ist dumm. Forschung für mehr Sicherheit ja, aber keine neuen Reaktoren: Diese Position Österreich ist nicht nur sachlich nicht nachvollziehbar - denn höhere Sicherheit wird hauptsächlich in neuen Anlagen zu finden sein - sie ist auch völlig blind und unsolidarisch gegenüber den Problemen anderer Länder.

Nicht zufällig haben sich frühere Partner Österreichs im Kampf gegen die Atomkraft von diesem radikalen Kurs bereits verabschiedet: Irland, Dänemark, Luxemburg haben erkannt, dass steigender Energiebedarf, Klimakrise und Atomkraftablehnung in einigen Ländern nicht zusammenpassen.

Der österreichische Versuch, die Weiterentwicklung von Atomkraft zu verhindern, ist die Fortsetzung der Politik gegenüber Tschechien: mit großer Selbstgerechtigkeit gegen etwas aufzutreten, von dem dann still und heimlich durch die Hintertüre profitiert wird.

Ähnliche Verwunderung ruft die österreichische Position zu den erneuerbaren Energieträgern hervor. Dem österreichischen Regierungsübereinkommen zufolge soll die erneuerbare Energie in Österreich bis 2020 einen Anteil von 45 Prozent erreicht haben, aber gegen eine Anteil von zumindest 34 Prozent laufen die österreichischen Politiker in Brüssel Sturm.

Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein argumentiert, dass hier "die Vorleistungen" Österreichs im Vergleich zu anderen Ländern nur ungenügend eingerechnet würden. Mit einem Anteil von 23 Prozent sei Österreich schon jetzt "Europameister". So, wie wenn die Donau eine Vorleistung der Bundesregierung wäre.

Dort, wo hingegen Umweltschutz wirklich vorexerziert werden könnte, etwa bei Ausstoß von Kohlendioxid, ist Österreich im EU-Vergleich trotz Wasserkraft ganz weit hinten: statt wie im Kyoto-Protokoll festgelegt die Emissionen um 13 Prozent vom Niveau 1990 zu senken, sind sie um 18 Prozent gestiegen, ohne dass das jemanden sonderlich aufregen würde.

Die Staatsdoktrin, die Atomkraft abzulehnen, ist Österreichs gutes Recht. Doch die Bekehrung anderer Staaten ist so, wie sie gehandhabt wird, eher eine Frechheit und fördert die Beziehungen nicht gerade sonderlich.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.02.2008)