Kernschmelze wäre möglich
26.04.2007, MARTIN KUGLER (Die Presse)
Risikoforscher Wolfgang Kromp sieht die 166 gemeldeten Temelín-Probleme für sich gesehen nicht besorgniserregend – sehr wohl aber deren Häufung.
"Wie vollständig die Meldungen sind, wissen wir nicht. Die Ereignisse für sich gesehen sind nicht besorgniserregend. Die Häufung gibt aber Anlass zur Sorge. Da könnte was Schlimmeres passieren", sagt der Wiener Risikoforscher Wolfgang Kromp zur "Presse".
Der Energiekonzern CEZ hatte eine Liste mit 166 Ereignissen im AKW Temelín vorgelegt: 152 werden als "Abweichungen" (INES-0), 14 als "Störungen" (INES-1) eingestuft. INES (International Nuclear Event Scale) ist eine siebenstufige Skala für Zwischenfälle in Atomkraftwerken. Erst ab INES-2 wird von einem "Störfall" gesprochen, ab INES-4 ("Unfall") wird die Umwelt radioaktiv belastet.
In der Anlaufphase eines AKW werden Störungen des Normalbetriebs bewusst herbeigeführt, um zu testen, ob der Reaktor richtig reagiert. Zudem gibt es in jeder technischen Anlage Anlaufschwierigkeiten. "Nach sieben Jahren sollte man aber keine Kinderkrankheiten haben", so Kromp.
Problem mit Brennstäben
Dass die Zahl der Störungen nicht sinkt, hat in Kromps Augen eine wesentliche Ursache: In den 90er Jahren wurde das AKW russischer Bauart von der US-Firma Westinghouse umgebaut. "Die tschechischen Ingenieure sind sehr gut, aber ihnen fehlt das Wissen der russischen Haupt-Konstrukteure", so Kromp. Das sehe man etwa an einem akuten Problem: Nachdem Temelín von russischen Uran-Brennstäben auf amerikanische umgestiegen ist, verbiegen sich diese Stäbe immer wieder. Das hat eine gefährliche Folge: Die Steuer-Stäbe, mit denen die Kernspaltung geregelt wird, können nicht mehr so schnell abgesenkt werden. "Es könnte passieren, dass sie stecken bleiben. Dann wäre eine Kernschmelze möglich", so Kromp.
Der CEZ wurde deshalb vorgeschrieben, monatlich Fall-Tests der Steuerstäbe durchzuführen. Wie diese genau gemacht werden, sei aber unbekannt. Erst 2010 wird Temelín wieder mit "passenden" russischen Brennstäben beschickt.
Nicht befriedigend gelöst sind in Kromps Augen einige Punkte des "Melker Abkommens": die 28-Meter-Bühne, Sicherheitsventile und die Versprödung des Druckbehälters. Der Melker Prozess habe jedenfalls Vorteile gebracht. Kromp: "Wir wissen nun einiges. Und nichts ist schlimmer als eine unbekannte Gefahr."