Elektroauto: Siemens wittert Milliardengeschäft
Quelle: Handelsblatt v. 3.7.2009
Siemens hat gemeinsam mit dem Autoveredler Ruf den Elektrosportwagen eRuf Greenster entwickelt. Das Thema Elektroauto – und vor allem das Geschäft mit der Infrastruktur – ist bei Siemens Chefsache geworden. Denn Vorstandschef Peter Löscher wittert ein Multimilliarden-Geschäft.
MÜNCHEN. Das Siemens-Forum in der Münchener Innenstadt soll ja ohnehin ein Ort der Begegnung sein. In den vergangenen Tagen aber schlenderten besonders viele Führungskräfte wie zufällig durch die Eingangshalle. Das könnte daran liegen, dass hier ein echtes Männerspielzeug zu bestaunen - und für manche auch zu testen - war: der Elektrosportwagen eRuf Greenster, den Siemens gemeinsam mit dem Autoveredler Ruf entwickelt hat. Das rege Interesse zeigt aber auch, dass das Thema Elektroauto - und vor allem das Geschäft mit der Infrastruktur - bei Siemens Chefsache geworden ist.
Vorstandschef Peter Löscher gilt ja als ausgesprochen rationaler Manager. Privat fährt er einen ziemlich kleinen Kleinwagen. So fasziniert ihn der grüne Elektrowagen auf Basis eines Porsche vor allem aus einem Grund: "Das wird ein Multimilliarden-Markt." Siemens will sich vom Kuchen ein großes Stück abschneiden. "Mit unserer Kompetenz stehen wir an der Spitze", sagte Löscher dem Handelsblatt. Die Technik für die Energieerzeugung und-übertragung ist für Siemens Kerngeschäft.
Es ist kein Zufall, dass Konzerne wie Siemens die Entwicklung vorantreiben. Experten sind überzeugt, dass die neuen Technologien eine Zeitenwende einläuten könnten. Gerade die deutschen Autohersteller definieren ihre Produkte stark über den Motor. Bei Elektroautos aber werden die Differenzierungsmöglichkeiten über den Antrieb geringer. Design und Marke werden eine noch größere Rolle spielen, und ganz neue Anbieter auf dem Markt auftauchen. So halten manche zum Beispiel ein iCar von Apple für vorstellbar.
Während unter den Herstellern die Gewinner noch nicht feststehen ist klar: In jedem Fall werden die Infrastrukturanbieter verdienen. Auch den Stromversorgern wie Eon und RWE eröffnen sich ganz neue Geschäftsmodelle.
Die Europäische Technologieplattform Smart Grids schätzt, dass bis 2030 in Europa 390 Mrd. in die Stromversorgungsinfrastruktur investiert werden, um die Stromnetze intelligenter zu machen. Etwa 90 Mrd. davon sollen auf die Stromübertragung und 300 Mrd. Euro auf die Stromverteilung entfallen.
Die Infrastruktur macht die intelligente Nutzung von Elektroautos möglich. So sollen die Batterien von Elektroautos in Zukunft nicht nur Strom speichern, sondern bei Bedarf auch wieder zurückspeisen. So ließe sich nachts, wenn der Strom günstig ist, die Batterie des Elektroautos laden. Mittags könnten Autobesitzer die Energie mit Gewinn wieder ins Netz abgeben.
Nach Einschätzung von Siemens ist all das keine ferne Zukunftsmusik. So will Produzent Alois Ruf schon 2010 mit dem Verkauf beginnen. Sein Vater hatte ihn einst mit einem Holzgaser zur Taufe gefahren. Nun will Ruf Junior jährlich 50 Greensters bauen und für 185 000 Euro das Stück verkaufen. Das erste Fahrzeug geht an einen Windpark-Betreiber. Beweisen will Ruf, der auch ein Wasserkraftwerk betreibt, dass es ein "hochemotionales CO2-freies Fahrvergnügen" gibt. Ob sich die Miniserie rechnet, lässt er lieber offen: "Es muss Leute geben, die das anpacken."
Das sind wohl auch Leute wie Mi-chael Weinhold. Der Technologie-Vorstand der Siemens-Energiesparte kommt aus einer Autobauer-Familie. Vom Urgroßvater bis zum Vater arbeiteten alle in der Branche, der Vater bei Opel in Rüsselsheim. Weinhold war der erste in der Familie, der Elektroingenieur wurde - und blieb dem Auto doch treu.
"Wir glauben, dass die Elektromobilität eine starke Lösung ist", sagt er. Bis 2020 könne es fünf Millionen Elektroautos in Deutschland geben. Deutschland sei mit seinen intelligenten Energiesystemen für das neue Zeitalter gerüstet.
Siemens-Energievorstand Wolfgang Dehen erinnert daran, dass schon früher Elektro der Standard-Antrieb gewesen ist. Schließlich hatte Werner von Siemens im April 1882 in Halensee bei Berlin den ersten elektrisch angetriebenen Kutschwagen der Welt vorgeführt. Den Fortschritt bremsten allerdings die fehlenden Batteriekapazitäten. "Erst über 100 Jahre später sind wir soweit, dass die Speichertechnologie bereit ist", sagte Dehen dem Handelsblatt.
Nun also könnte das Elektroauto in den nächsten Jahren seinen Durchbruch feiern. Doch damit ist noch längst nicht entschieden, dass die deutschen Konzerne ihre automobile Vormachtstellung behalten. Der eRuf Greenster stand in den vergangenen Tagen nicht zufällig im Siemens-Forum. Davon zeugen zwei kleine Wimpel im Eingangsbereich: Eine deutsche und eine chinesische Fahne. Ein hochrangiger chinesischer Regierungsvertreter war zu Besuch und informierte sich über das Elektroauto und die dafür notwendige technische Infrastruktur.